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Bombenalarm bei jeder herrenlosen Tüte“

■ In Köpenick veranstaltet die weltweit größte jüdische Jugendorganisation die „6. Internationale Jugendtagung gegen Antisemitismus“. Für viele der Teilnehmer gehört Diskriminierung zum Alltag

Freiwillig bewege ich mich nicht in Teltow, vor allem nachts nicht“, sagt Johannes und blinzelt am Ufer des Müggelsees in die Herbstsonne. „Hippie-Sau, wir kriegen dich“, riefen ihm die zahlreichen Rechten der Kleinstadt auf der Straße hinterher, erzählt der Junge mit den halblangen Haaren. „Dabei seh ich doch wirklich nicht so links aus.“ Die Zahl seiner Freunde in Teltow kann der 18-Jährige mit der schwarzen Wollmütze schnell beziffern: „Keine“, bilanziert er knapp.

Johannes aus Teltow ist einer von 90 Jugendlichen, die aus Ungarn, Rumänien, Polen, Dänemark, Essen oder Berlin angereist sind, um an der 6. Internationalen Jugendtagung gegen Rassismus und Antisemitismus teilzunehmen. Eingeladen hat die B'nai B'rith Youth Organization, die weltweit größte jüdische Jugendorganisation. Als Schirmherr fungiert der amerikanische Regisseur und Gründer der Shoah Fondation, Steven Spielberg.

Zur Eröffnung ist auch Michel Friedman vom Zentralrat der Juden gekommen. Doch bei den Jugendlichen stößt der CDU-Politiker auf ein geteiltes Echo. „Ich verstehe nicht, wie man in einer Partei sein kann, die gegen die doppelte Staatsbürgerschaft mobil gemacht hat“, meint einer hinterher empört. Auf sein Parteibuch angesprochen, habe Friedman stets ausweichend geantwortet.

Obwohl die Jugendlichen viel diskutieren, ist Diskriminierung für viele hier keine Frage der Theorie. „An unserer Schule bekommen wir häufig Drohungen“, erzählt die 16-jährige Franzi, die die Jüdische Oberschule im Bezirk Mitte besucht. Wenn eine herrenlose Plastiktüte im Schulflur stehe, werde der Sicherheitsdienst gerufen – Bombenalarm. Vor Franzis Schule steht auf einem Rasenstück ein Denkmal für die deportierten Juden. „Runter vom Judendreck“ habe ein Passant neulich seinem Hund zugerufen, sagt sie ohne besondere Emotion. Alltag eben.

Auch Eugen aus der friesischen Kleinstadt Niebüll macht sich Sorgen: „Viele der 12- bis 13-Jährigen finden rechts cool“, berichtet er. „Das wird eine rechtsextreme Generation.“ Auch er hat Vorurteile am eigenen Leib zu spüren bekommen: „Während einer Sprachreise wurde ich in England als 'Deutscher‘ beschimpft und mit Steinen beworfen.“

Tagungsleiter Ralf Melzer warnt vor einem Ruck nach Rechts, auch wenn der längst stattgefunden habe. „Es fehlt an klaren Abgrenzungen der Mainstream-Gesellschaft zu rechtsextremen Inhalten.“ Mit dem Treffen will er die Jugendlichen anregen, gegen die Entwicklung aktiv zu werden. Für Johannes aus Teltow stellt sich die Frage längst anders: „Ich bin gegen Gewalt. Aber wenn ich in meiner Umgebung bedroht werde, muss ich mich wehren.“

Andreas Spannbauer

Die Tagung findet noch bis Freitag im „Jugenddorf am Müggelsee“ am Fürstenwalder Damm 838 statt. Heute spricht um 15.30 Uhr die Publizistin und Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron. Alle Veranstaltungen sind öffentlich und kostenlos.

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