: Darf man sich zuerst das Gesicht waschen?“
Eine halbe Million junger Muslime lernt in privaten Koranschulen: In welcher Reihenfolge sie sich vor dem Gebet reinigen müssen. Und was es mit den Pflichten des Korans und den Empfehlungen des Propheten auf sich hat ■ Aus einer Koranschule Yassin Musharbash
As-Salamu aleikum!“ Samir Edelbrock begrüßt seine Schülerinnen und Schüler. „Wa aleikum as-Salam“, geben sie die traditionelle Begrüßungsformel zurück – sie wünschen ihrem Lehrer Frieden. In der Klasse der 13- und 14-Jährigen sitzen vier Mädchen und zwei Jungen. „Was habt ihr letzte Woche durchgenommen?“, fragt Samir. Karim antwortet, ernsthaft dreinblickend: „Die fünf Säulen des Islam.“ „Und welche sind das?“ Soumia weiß es: „Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Almosensteuer und Pilgerfahrt.“
Koranschule mit Adresse im Internet
Sonntagmorgen, zehn Uhr. Der private Koranunterricht am Islamischen Zentrum in Bielefeld hat begonnen. Islamische Gelehrsamkeit verbindet sich mit dem Flair von Sonntagsschule. Durch das Fenster wehen aufgesagte Koransuren aus anderen Klassenzimmern herüber. Mischen sich mit dem Klang von Kirchenglocken, die einen Block weiter läuten.
Fast alle Moscheegemeinden in Deutschland bieten religiöse Unterweisung für Kinder islamischen Glaubens an. In Bielefeld sind 46 Kinder arabischer Herkunft angemeldet. Fünf ehrenamtliche Lehrer unterichten sie. Die meisten islamischen Gemeinden verpflichten professionelle Theologen. Hier aber ist man stolz auf pragmatischen Idealismus: Keiner der Lehrer hat eine theologische Ausbildung. Der Endzwanziger Samir Edelbrock etwa verdient sich sein Geld auf höchst profane Weise bei einem Multimedia-Unternehmen.
„Wir möchten den Kindern zeigen, wie sie in Deutschland als Muslime leben könnnen“, sagt Samirs junger Kollege. „Kennst du unsere Internet-Homepage?“, weist Samir auf die World-Wide-Web-Adresse von Moschee und Koranschule hin. Das Islamische Zentrum ist nicht nur Ort theologischer Fragen. Es gibt einen Laden, eine diskret im Treppenhaus angebrachte Spendenbox ermöglicht Kindern und Eltern, das Gebot der „Almosensteuer“ zu erfüllen.
Das Gebäude ist freundlich eingerichtet. Am Ende des Ganges liegt der Innenhof mit einem Baum in der Mitte. Es tobt über die Stiegen: Jungen und Mädchen. Blond oder dunkel. Mit und ohne Kopftuch. An der Tür des Klassenzimmers steht: „Gebetsraum – bitte die Schuhe ins Regal stellen!“
Obwohl alle Kinder freiwillig zum Unterricht kommen, läuft es heute nicht so richtig. Samirs Bemühungen wollen keine rechte Diskussion entfachen. „Wann seid ihr gestern ins Bett gekommen“, fragt er lächelnd, „dass ihr so müde seid?“ Die Kinder brauchen es ihm gar nicht zu verraten. Samir sieht es ihnen an.
„Was ist Fundamentalismus?“, möchte Samir von seinen Schützlingen wissen. Mawa macht große Augen: „Funda... was?“ Einverstanden, also andersherum. Die Kinder sollen berichten, was sie hier lernen, und was für sie das Wichtigste ist. Jetzt wachen die Kinder auf. „Dass der Islam eine friedliche Religion ist!“, meldet sich Karim. Die anderen stimmen zu. „Und was sollten die Leute noch über den Islam wissen?“ Soumia meldet sich: „Viele glauben, dass muslimische Frauen unterdrückt werden, aber das ist falsch!“ Sie trägt ihr Kopftuch freiwillig, sagt sie, um ihren Glauben zu zeigen. Ihre Schwester Aoatif pflichtet Soumia bei – obwohl sie ihre Haare gar nicht unter einem Kopftuch verbirgt. Ihre Erklärung ist banaler als erwartet: „Ich habe es heute morgen nicht finden können.“
Die vielen Schilder im Klassenzimmer sprechen zwei Sprachen – Arabisch und Deutsch. Nicht ohne Grund: „Die meisten der Kinder“, erklärt Dr. Elias, Vorsitzender und Spiritus Rector des Vereins, „sprechen kein Arabisch. Darum wird die Hälfte des Unterichts auf das Erlernen des Arabischen verwandt.“ Das ist ein Zugeständnis an die Lebenswirklichkeit jugendlicher arabischer Muslime – sie wachsen deutschsprachig auf. Türkische Gemeinden hingegen plagt das umgekehrte Problem. Dort muss sogar oft Deutsch gelehrt werden, weil die Schüler fast nur Türkisch sprechen. Und in vielen muslimischen Gemeinden wäre auch nicht denkbar, dass Jungen und Mädchen, wie hier in Bielefeld, gemeinsam die Schulbank drücken.
Soumia trägt Kopftuch. Aoatif hat's vergessen.
Samir schaut auf die Uhr. Zeit für die Pause. Augenblicklich strömen die Kinder nach unten, versorgen sich in dem Lädchen im Erdgeschoss und spielen im Innenhof Ball. Einige Lehrer spielen mit. Die Sonntagsträgheit weicht der fröhlichen Gemeinsamkeit. Die Teeküche ist liebevoll eingerichtet. Ein Spendenbarometer misst die eingegangen Summen für die Moschee-Erweiterung.
In der folgenden Stunde unterrichtet Samir die Neun- bis Zwölfjährigen, auch hier sind die Mädchen in der Mehrheit. Auf dem Unterrichtsplan stehen heute die Regeln des Gebets. Die Reihenfolge, in der die Waschungen vorgenommen werden müssen, haben sie schon gelernt. Samir lässt sie es noch einmal vormachen: zuerst die rechte Hand, dann die linke, dann das Gesicht ... Jedes Mal, wenn eines der Kinder die Reihenfolge durcheinander bringt, rufen die anderen: „Falsch!“
Einige der Mädchen präsentieren stolz, was sie gelernt haben. Samir erklärt den Unterschied zwischen vorgeschriebenen und empfohlenen Handlungen. Was im Koran steht, ist als Pflicht zu betrachten. Die Überlieferungen von Handlungen und Aussprüchen des Propheten, die sunna, sind aber nur Empfehlungen. Die Kinder folgen Samir staunend: Wenn ein Muslim eine Pflicht nicht erfüllt, ist das eine Sünde. Vernachlässigt man eine Empfehlung des Propheten, ist das nicht so schlimm. Das interessiert: „Meine Schwester hat sich einmal erst das Gesicht und dann die Hände gewaschen“, fragt ein Mädchen, „geht das?“
Ähnliche Fragen musste schon Muhammad selbst seinen ersten Anhängern beantworten. In großen Sammlungen sind seine Aussprüche und Handlungen nachzulesen. Sie geben Auskunft über Urteilssprüche und Lieblingsspeisen des Propheten, über das Gebet oder einfach die heilende Wirkung von Bienenhonig. Dort findet Samir die Antworten auf die Fragen seiner Schüler. Nach einer Weile mehren sich die Blicke auf die Uhr. „Wann muss heute das Mittagsgebet verrichtet werden?“ Die anderen Klassen laufen schon durchs Treppenhaus. Zeit für eine letzte Frage: „Was mögt ihr besonders gerne am Koranunterricht?“ Nach einer Sekunde Pause fallen sich zwei der Mädchen ins Wort: „Die Geschichten. Die Geschichten vom Propheten!“ Die anderen nicken. Darüber besteht Einigkeit.
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