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Bosniens Probleme bleiben ungelöst

Heute besucht das bosnische Staatspräsidium, die Vertreter der drei Volksgruppen, Berlin. Trotz dieses gemeinsamen Auftritts sind die Institutionen des Gesamtstaates eine leere Hülse  ■   Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Wenn heute die drei Mitglieder des bosnischen Staatspräsidiums erstmals gemeinsam nach Berlin kommen, werden gleich mehrere Zeichen gesetzt. Deutschland wird als das wichtigste Geberland in Europa hervorgehoben. Mit ihrem gemeinsamen Auftreten wollen die Vertreter der drei Volksgruppen, der Bosniak Alija Izetbegovic, der Kroate Ante Jelavic und der Serbe Zivko Radisic den Europäern zudem zeigen, dass die Spannungen in ihrem Land abgenommen haben, dass Bosnien-Herzegowina auf die richtige Schiene gestellt ist. Das angesichts der Korruptionsskandale der letzten Monate angeschlagene Image des vom Krieg zerstörten Balkanstaates soll gerade bei den Geberländern wieder aufpoliert werden.

Sicherlich, allein der Umstand, dass die drei Präsidiumsmitglieder zusammen reisen, ist ein positives Zeichen. Nach den Natoangriffen gegen Serbien und den schwindenden Geldüberweisungen aus Belgrad ist die serbische Teilrepublik Bosnien-Herzegowinas, die Repuplika Srpska, nach Ansicht internationaler Beobachter dabei, ihre Blockadepolitik in Bezug auf den Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina abzuschwächen. In der Hauptstadt der Republika Srpska, in Banja Luka, signalisiere man Interesse an mehr Zusammenarbeit, berichten sowohl der Beauftragte der Bundesregierung für die Flüchtlingsrückkehr, Hans Koschnick, wie auch der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, der Österreicher Wolfgang Petritsch.

Doch in Wirklichkeit stagniert der politische Prozess im Lande. Das Abkommen von Dayton im Herbst 1995 legte zwar die Teilung des Landes in zwei sogenannte Entitäten, die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska fest, es versprach aber auch die erneute Integration der drei Volksgruppen in den Gesamtstaat. Während die Parlamente in den Entitäten einigermaßen funktioneren, sind die Institutionen des Gesamtstaates aber bisher leere Hülsen geblieben.

Zwar hat das „Büro des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft“ einige Erfolge vorzuweisen: der Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung wird hier koordiniert, der „Hohe Repräsentant“ ist auf internationalen Konferenzen mit beträchtlichen Machtmitteln ausgestattet worden. Er kann missliebige Politiker absetzen, kann Parteien erlauben oder verbieten, die ehemaligen „Kriegsparteien“, die tonangebenden Nationalisten der drei Volksgruppen, mit Zukkerbrot und Peitsche zur Zusammenarbeit verpflichten, kann Dekrete erlassen. Doch die Macht der nationalistischen Eliten zu brechen, ist ihm bisher nicht gelungen.

Dies zeigt sich besonders bei der kroatischen nationalistischen Elite in Westmostar. Obwohl die Kroaten in Dayton keine eigenen „Entität“ zugesprochen bekamen, existiert der eigentlich aufgelöste Teilstaat „Herceg-Bosna“ weiter. Von Westmostar aus unternehmen die kroatisch-bosnischen Politiker alles, um das Zusammenwachsen selbst der kroatisch-bosnischen Föderation zu behindern. Obwohl mit Ante Jelavic ein Kroate jetzt Präsident des Staatspräsidiums ist, hat sich daran nichts geändert. Nach wie vor mischt sich der Staatspräsident Kroatiens in Bosnien-Herzegowina ein und fordert eine „dritte Entität“ für die Kroaten. Die Bevölkerung der kroatisch geprägten West-Herzegowina dürfen sogar bei den kroatischen Parlamentswahlen abstimmen. Nicht einmal die serbischen Hardliner in der Republika Srpska haben dies in Bezug auf Jugoslawien durchgesetzt.

Alle Seiten versuchen zudem, die Rückkehr der im Krieg Vertriebenen, so weit sie nicht aus der eigenen Volksgruppe kommen, zu behindern. Immerhin ist es den internationalen Organisationen gelungen, in der Föderation 80.000 Rückkehrer der sogenannten Minderheiten unterzubringen, die Republika Srpska jedoch hat erst 10.000 Rückkehrer zugelassen. Es wird blockiert, wo es nur geht.

Der neue Hohe Repräsentant will jetzt zusätzliche Initiativen entfalten. Besonders die Rückkehr soll beschleunigt werden (siehe Interview). Petritsch hofft, dass er die politischen Blockaden mit Dekreten aufbrechen kann. Und er hofft auf die sozialen Bewegungen.

Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne führen zu einem Konflikt zwischen der Bevölkerung und den herrschenden Parteien. Nach einer Massendemonstration am Montag in Sarajevo hat gestern ein Streik der Textilarbeiter begonnen. Die Gewerkschaften wollen in allen Landesteilen aktiv werden. Die soziale Bewegung könnte somit die Nationalisten in Schwierigkeiten bringen.

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