: Cookie's Fortune
Berlin Scanner: In der Oberlandstraße duftet es wie in einer Backofenröhre im Dezember. Schokoplätzchen warten auf dich und retten deinen Tag: Im Keksladen war ■ Jenni Zylka
Die englische Band „Half man half biscuit“ hatte einen der großartigsten Bandnamen aller Zeiten. Halb Mensch halb Keks. Nach einem Besuch im Werksladen der Tempelhofer Bahlsen-Fabrik dürfte man mich gerne „Halb Frau halb Ohne Gleichen“ nennen. Der so genannte „Keksladen“ liegt, umringt von bald verlassenen und schon ausgebrannten ZDF-Redaktionen, an einer ungemütlichen Tempelhofer Schnellstraße: der Oberlandstraße. Wenn man aus Versehen eine Busstation zu früh aussteigt („Sommergarten“ klingt einfach besser als „Filmstudio“) und die von Fabrik- und Studiomauern eingekästelte Teerspur entlang geht, dann kann man es riechen.
Eigentlich müsste es nämlich nach den vielen vorbeirasenden Autos stinken, aber es duftet nach Weihnachten, nach Bis-zu-den-Ellbogen-im-Mehl-Wühlen, nach Rumaroma und Keksebacken (beziehungsweise gebacken kriegen), köstliche, schokoladige Plätzchen. Die ganze Straße riecht wie eine Backofenröhre im Dezember, und man selber fühlt sich wie ein kleiner, knuspriger Keks.
Dann das Geschäft: eine unauffällige Tür mit dem Schild „Keksladen“. Andauernd kommen Menschen mit Pappkartons heraus, manche mampfen schon, andere rollen kleine Karren hinter sich her. Kinder sieht man selten, wahrscheinlich weil sie nicht zu bändigen wären. Der Keksladen selbst, ein mittelgroßer, schmuckloser, in Blau gehaltener Raum, erinnert an einen Billigsupermarkt. Die Keksschachteln und Beutel in großen Kartons bilden Reihen, durch die Hausfrauen in Kittelschürze, ZDF-Redakteure mit Brillen und Halbglatzen, Kiezbewohnerinnen mit Weddingpalme auf dem Kopf und Etepetete-Pärchen in Blazern schlendern, dabei Keksschachteln in ihre Wagen oder in auf dem Arm balancierte Pappkartons schmeißen.
Die Kekse, steht in Schönschrift an einer Wand, sind II.-Wahl-Produkte, die „von Paletten mit einem erhöhten Anteil von Packungen mit Untergewicht“ stammen. Untergewicht ist ein gutes Stichwort: Man ahnt gar nicht, wie viele Kekse man in sich hineinstopfen kann, wenn man nur genügend Auswahl hat! Denn die II.-Wahl-Packungen kosten zwischen 50 Pfennig und 7 Mark (für unglaubliche Riesenbeutel „Keksbruch“ der für mich bis dato unbekannten Keksart „Nusszauber“). Sorten, die man noch nie ausprobiert hat, weil man sie einfach für überteuert hielt, eben „Ohne Gleichen“, „Düsseldorfer Törtchen“, „Pims Cake Aprikose“, haben hier alle den knallorangenen „II. Wahl“-Aufkleber und kosten Nemarkfuffzich. Und man lernt spielerisch neue Produkte kennen und dazu auch noch Fremdsprachen: „Cremetti“. Oder „Biscoli“.
Schön sind auch die werksinternen Billigversionen von bekannten Keksen: „Ti-Kekse“ sind zum Beispiel so eine Art Aldi-Tuc, „Duetti“ (die Bahlsener Werbetexter lieben Diminutive) ist, glaube ich, das gleiche wie „Schoko-Leibnitz“. Zum Schluss schiebt man den schweren, keksschwangeren Einkaufswagen an die Kasse, und die Kassiererinnen sind ausgesprochen schnell im Addieren (wie bei Aldi): ein Blick, die Finger fliegen über die Tasten, und für 12,50 Mark macht man mindestens acht Damenkränzchen glücklich. Die letzten paar Male habe ich die besonders interessant und lecker aussehenden Packungen immer schon an der Bushaltestelle aufgerissen, um dann mit krümeligem Mund durch Berlin zu fahren.
Ich weiß, dass das alles wie eine große Werbekampagne für Bahlsen klingt, aber das ist mir egal. Der Keksladen kann einem den ganzen Tag retten.
„Keksladen“ (Bahlsen-Werksladen), Oberlandstr. 91-93, Berlin-Tempelhof, geöffnet Mo bis Fr 8 bis 18 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen