: Deutsch für alle – nein danke?
Der Zugang von Immigranten zu geförderten Sprachkursen ist streng getrennt nach jeweiligem Aufenthaltsstatus. Denn die Integration der Zuwanderer ist zum Teil gar nicht erwünscht ■ Von Veronika Kabis-Alamba
Was muss das für eine Sprache sein, dass sie sich, wohl behütet wie ein Schatz, nur einigen Auserkorenen erschließen darf? Eine Sprache, die beleidigt reagiert, wenn man sie verschmäht (indem man ihr zum Beispiel – wie die Finnen – den Rang einer internationalen Verhandlungssprache abspricht), und gleichzeitig viele abblitzen lässt, die ihr wohl gesonnen sind?
Deutsch ist die Zweitsprache für Millionen von MigrantInnen in Deutschland. Semesterbeginn an der Volkshochschule einer mittleren Großstadt. Deutschkurse? Kein Problem, seitenweise gibt es Angebote im VHS-Programm. Erkan, Gülsen und Boris, alle drei seit ein paar Wochen in Deutschland, wundern sich nur, weshalb jeder von ihnen bei der Anmeldung eine andere Auskunft bekommt. Einmal gibt es einen passenden Kurs mit zwanzig Wochenstunden für wenig Geld, ein ander Mal bedauert die freundliche Mitarbeiterin sehr, dass der gewünschte Intensivkurs im selben Umfang das Doppelte kostet. Im dritten Fall gibt es sogar ein Paket von vierzig Unterrichtsstunden pro Woche, das Ganze so gut wie geschenkt.
Des Rätsels Lösung? Keineswegs ein Missverständnis, sondern das Ergebnis der bundesdeutschen Sprachpolitik. Deren Maxime heißt: Öffentlich geförderten Deutschunterricht gibt es nur für diejenigen, die dauerhaft hier leben werden, und zwar fein säuberlich nach Zuwanderergruppen getrennt. Erkan kann als nachgezogener Ehegatte einer in Deutschland lebenden Türkin an einem öffentlich geförderten Kurs teilnehmen. Gülsen, ebenfalls aus der Türkei, aber kurdische Asylbewerberin, darf dies auf Grund ihres Aufenthaltsstatus nicht; Boris schließlich darf sich darüber freuen, dass er als Aussiedler eine voll finanzierte Maßnahme aus Mitteln des Garantiefonds besuchen kann.
Die Sprachförderung in der Bundesrepublik ist derzeit in zahlreiche, voneinander unabhängige Programme gegliedert. Allein die Kurse für Spätaussiedler werden aus sechs verschiedenen Einzeletats der Bundesregierung finanziert. Insgesamt sind fünf Bundesministerien mit Teilbereichen der Sprachförderung befasst. Seit langem schon stören sich die Träger von Deutschkursen vor Ort an diesem Zustand. Zum einen, weil er ihren Verwaltungsapparat mit Einzelabrechnungen gegenüber mehreren verschiedenen Geldgebern unnötig aufbläht, zum anderen aber auch, weil viele von ihnen keine Lust mehr haben, den TeilnehmerInnen zu erklären, weshalb manche von ihnen mehr, manche weniger zahlen sollen und andere gar keine Unterstützung erhalten, und weshalb man ausländische Arbeitnehmer nicht gemeinsam mit Aussiedlern unterrichten kann.
Zumindest hat der Haushaltsausschuss des Bundestages jetzt die Vermutung geäußert, dass da zu viele Köche im selben Brei rühren – und das ist in der Regel teurer, als wenn das Gericht aus einer Hand auf den Tisch kommt. „Synergieeffekte erschließen“ lautet die Zauberformel: Kräfte bündeln, mit demselben Mittelansatz wirtschaftlicher arbeiten und einheitliche Qualitätsstandards festschreiben. Die Erweiterung der Zielgruppen soll in diesem Zusammenhang ebenfalls erfolgen. Wie weit sie gehen wird, ist noch offen. Die deutsche Integrationspolitik folgt nämlich einem Grundsatz, der weder den Betroffenen,noch den Sprachplanern in anderen Ländern überzeugend zu vermitteln ist: AsylbewerberInnen und Flüchtlinge dürfen an keinen geförderten Deutschkursen oder – und darunter haben insbesondere Jugendliche zu leiden – Fördermaßnahmen des Arbeitsamtes teilnehmen. Zur Begründung heißt es seit Jahren lapidar, es dürften keine Anstrengungen unternommen werden, um Personen, deren Aufenthalt in Deutschland nicht langfristig gesichert sei, zu integrieren. Ein scheinheiliges Argument, denn die gelungene Integration, was immer das auch sein mag, ist schon lange kein Grund mehr, Menschen auch nach jahrelangem Aufenthalt von Abschiebung zu verschonen.
Die Ausländerbeauftragten von Bund, Ländern und Gemeinden haben schon 1998 in einem gemeinsamen Papier darauf hingewiesen, dass es sowohl im Interesse des Einzelnen als auch des Aufnahmelandes Deutschland liege, dass alle neu eingereisten ausländischen Arbeitnehmer, Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge und Spätaussiedler Deutschkurse besuchen. Und dies aus ganz pragmatischen Gründen, denn „wenn sie sich nicht verständigen können, wirkt sich dies zum Nachteil der öffentlichen Einrichtungen und des sozialen Lebens in unserem Lande aus, das führt zu teurer Mehrarbeit, Desinformation und Desorientierung mit zum Teil gravierenden Folgekosten im Arbeits-, Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialwesen“.
Die Sinnhaftigkeit einer Trennung von Sprachförderung nach ausschließlich aufenthaltsrechtlichen Kriterien stellt auch der Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e.V. in Mainz inzwischen offen in Frage. Die restriktive Eingrenzung seiner Zielgruppen, die ihm von seinem Auftraggeber, dem Bundesarbeitsministerium, vorgeschrieben wird, erscheint vor dem Hintergrund der Einwanderungsrealität in Deutschland geradezu absurd, zumindest aber völlig überholt: lediglich ArbeitnehmerInnen und ihre Familienangehörigen aus den ehemaligen Anwerbeländern Türkei, den Nachfolgestaaten von Jugoslawien, den EU-Mitgliedstaaten, Marokko, Tunesien, den Philippinen sowie den damaligen DDR-Vertragsstaaten Angola, Mosambik und Vietnam sind zur Teilnahme an seinen Kursen berechtigt. Die Eingrenzung auf diese Nationalitäten führt mitunter zu bizarren Situationen: So darf ein türkischer Arbeitnehmer an einem Sprachverbandskurs teilnehmen, der ghanaische Ehemann einer Deutschen, der aufenthalts- und arbeitsrechtlich diesem türkischen Arbeitnehmer gleich gestellt ist, jedoch nicht.
Die Forderung nach einem zeitgemäßen Gesamtsprachkonzept, aus welcher Motivation heraus auch immer, scheint weitgehend Konsens zu sein. Dass die Neustrukturierung trotz Drucks des Haushaltsausschusses nicht schneller zu Stande kommt, liegt wohl im Wesentlichen daran, dass es Besitzstände zu wahren gilt. Tatsächlich sind es in erster Linie Arbeits- und Innenministerium, die bislang noch keine Einigung darüber erzielen konnten, unter wessen Federführung und nach welchen Grundsätzen ein solches Konzept zur Umsetzung gelangen kann.
Der Sprachverband in Mainz jedenfalls steht bereits in den Startlöchern. Er hat ein eigenes Positionspapier vorgelegt, worin er sich als geeignete Institution für die Umsetzung einer einheitlichen Deutschsprachförderung anbietet.
Vieles spricht dafür, dass der Sprachverband diese zentrale Rolle einnehmen könnte: Die Organisation, die in diesen Tagen ihr 25-jähriges Bestehen feiert und mit derzeit etwa 30 Millionen Mark Fördermitteln einer der größten Sprachkursanbieter in Deutschland ist, verfügt über Erfahrungen und Kompetenzen in der Vermittlung von Deutsch als Zweitsprache, garantiert die Fortbildung ihrer Lehrenden und hat vermutlich mehr als alle Lehrstühle für „Deutsch als Fremdsprache“ zur inhaltlichen Verbesserung des Angebotes an berufsorientierten Deutschkursen beigetragen. Nicht zuletzt hat der Sprachverband ein dicht geknüpftes Netz gerade auch an kleinen Kursträgern wie Migrantenverbänden und -initiativen vor Ort geknüpft, die mitunter einen besseren Zugang zu den potenziellen KursteilnehmerInnen haben als die anonymen Arbeitsämter. Geschäftsführer Gerhard Fiedler verweist nicht ohne Stolz auf eine kürzlich durchgeführte Studie zur „Evaluation der Sprachförderung Deutsch für ausländische Arbeitnehmer“ im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums, wonach dem Sprachverband eine erfolgreiche Arbeit bescheinigt und die Empfehlung ausgesprochen wird, ihm als zentraler Institution die Umsetzung des gesamten Förderprogrammes zu übertragen.
Ein guter Anfang wäre sicher auch schon gemacht, wenn deutsche Politiker überhaupt zu einem unverkrampfteren Umgang mit ihrer Muttersprache finden würden. ZuwanderInnen vom Erlernen ihrer Umgebungssprache abzuhalten ist nämlich genauso widersinnig wie der Versuch, sie zwecks Integration zum Deutschlernen zu zwingen – mehr als einmal aus der bayerischen Ecke gefordert.
Und die gleichen Deutschen sind es, die während der finnischen EU-Ratspräsidentschaft einen Sprachenstreit vom Zaun gebrochen haben, als ihnen vor Augen geführt wurde, dass Deutsch nicht das Renommee einer internationalen Verkehrssprache hat. Vielleicht sollten sie, während sie damit beginnen, am Prinzip „Deutsch für alle“ zu arbeiten, ihrerseits etwas für ihr Englisch tun. Das Sprachenstudium soll schließlich die geistige Beweglichkeit fördern, wie schon Wilhelm von Humboldt erkannte: „Die Erlernung einer fremden Sprache sollte die Gewinnung eines neuen Standpunktes in der bisherigen Weltansicht seyn.“ Das wäre doch für alle Seiten ein Gewinn.
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