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Dämliche deutsche Einheit

Vom „Schlussverkauf DDR“ zur „Ausfahrt Ost“: Zwei höchst unterschiedlich gelungene TV-Filme erzählen von Abwicklung und Wiedervereinigungsfolgen    ■ Von Helmut Höge

„Wer Country-Musik spielen will, muss eine Menge Mist gerochen haben!“ (Hank Williams)

In der so genannten Wende wandte sich der Merian-Herausgeber wegen eines „Berlin-Hefts“ an mich. Ich sollte eine Geschichte des Glühlampenkombinats Narva – bis zu seiner Privatisierung, an der damals die Treuhandanstalt arbeitete – beisteuern. Mein mit 5.000 Mark und einem Essen im Hotel Esplanade honoriertes Konvolut bekam ein Schönschreiber in Ulm, der daraus einen richtigen Merian-Artikel machte. Am Schluss schrieb er – sinngemäß: Es sieht zwar alles nicht sehr rosig aus, aber die nun kommende D-Mark wird es richten. Diesen Satz konnte ich gerade noch verhindern. Mein Text hatte im Grunde aus dem Nachweis bestanden, dass das Glühlampenwerk just von der D-Mark – bzw. von ihren industriellen Platzhirschen – platt gemacht wird.

Nun, 1999, zeigt Arte am 3. und 4. November den „ersten umfassenden Dokumentarfilm über die Geschichte der Treuhand“: die MDR-Produktion „Schlussverkauf DDR“ von Axel Grote und Michael Jürgs. Und der beginnt gleich so: „Streng bewachte Geldtransporter bringen die heiße Ware in den letzten Winkel der real kaum noch existierenden DDR – die D-Mark. Und mit ihr kommt die Marktwirtschaft. Eine Treuhandanstalt mit Sitz in Berlin soll es richten ...“

Man habe mit diesem zweiteiligen Dokumentarfilm, so die Verantwortlichen auf einer Berliner Pressekonferenz im Polnischen Kulturinstitut, einigen „Mythen“ um die Treuhand – wie Sündenbock, Betrüger, Top-Wirtschaftsanierer – entgegenwirken wollen! Ein polnischer Journalist nannte das Ergebnis anschließend abfällig: „Eine zweistündige Tagesschau“. Ein amerikanischer Journalist meinte: „Grober Unfug – 'Es gab keine Alternative!‘ Die ist doch gleich nebenan in Polen – wo ganz ohne Treuhand wirklich ein Wirtschaftswunder passierte, im Gegensatz zu Ostdeutschland, wo sich bald bloß noch Wirtschaftsprozesse gegen Anlage- und Sanierungsbetrüger mit Strafprozessen gegen Neonazis ablösen.“

Im Film wird zu dieser einmaligen Erfolgsstory „Aufbau Ost“ der Treuhand-Kontrolleur im Finanzministerium John von Freyend zitiert: „Ohne Patriotismus wäre das alles nicht möglich gewesen!“ Ganz recht! Ohne sofortige Gebietsansprüche hätten westdeutsche Großkonzerne wie RWE und Siemens, BASF und Deutsche Bank nicht die ausländischen Investoren – wie Samsung, General Electric und Phoenix-Japan – vom Kauf ostdeutscher Industriebetriebe abhalten können. Die Fabriken wurden stattdessen von den Interessenvertretern der BRD-Konzerne in der Treuhand schubweise „abgewickelt“. Die Massenentlassungsschübe hießen treuhandintern „Großflugtage“.

Darüber verliert man im Film jedoch kein Wort. Stattdessen wird noch einmal wohlfeil auf „maroden Anlagen“, „Stasi“, „Spießigkeit“, „SED-Misswirtschaft“, „Potemkinschen Dörfern“ etc. herumgeritten. Alle kolonialen Eroberungen Europas waren ohne Eleganz, meint Eric Hobsbawn. Die der Deutschen waren jedoch besonders debil. Und die DDR-Einverleibung war der Gipfel an verbrecherischer Dummdreistigkeit! Dass man zu ihrer Aufarbeitung ausgerechnet den MDR beauftragte, verdient ganz besonders gewürdigt zu werden.

Hier abschließend nun nur noch den letzten Satz aus diesem primitiven Propagandaschinken („Vergleichbares kannte man bisher nur aus staatlichen Desinformationskampagnen“, schreibt die FAZ – freilich nicht über den Treuhand-Film sondern über die „Wehrmachtsausstellung“ des Reemtsma-Instituts): „Einigkeit und Recht und Freiheit – hupende Trabis: ein grenzenlos glückliches Volk bestätigt sich selbst!“ Der Produzent der Firma Tele-Potsdam konnte abschließend nur noch stammeln: „Danke. Für dieses gewaltige Stück Aufklärung!“

Verlassen wir nun schleunigst diese schleimige Staatsautobahn – und nehmen eine „zufällige Abfahrt – bei schlechtem Wetter und schlechter Sicht“: Dann landen wir in der Trucker-Raststätte „Hungriger Wolf“ nahe Möser (sic!). Dort trafen die „zwei jungen Filmemacherinnen“ Judith Keil und Antje Kruska auf die langzeitarbeitslosen Ostler Nico und Lenne sowie den Noch-Arbeiter Tomcat, der sich als rebellischer Südstaatler begreift: „eigentlich alles Antihelden“.

Keils und Kruskas außerordentlich liebevoller Film über die drei Loser heißt „Ausfahrt Ost“ und läuft heute um 0 Uhr 30 im ZDF – also wenn alle, die es angeht, schon hackevoll vor der Glotze hängen und sich nur noch 0190-Nummern notieren. Auch das Arbeitsamt kommt darin vor, es geht um Feststellungs- und Umschulungsmaßnahmen: „Wir wissen, Sie können das Maßnahmenziel erreichen.“ Es geht ferner um die Fahrerlaubnis und um Heiratsanzeigen. Sowie um die Schuld der Mutter an der Arbeitslosigkeit ihres Sohnes. Dazwischen läuft immer wieder Country-Musik. „Wilde Pferde, wilde Wölfe, wildes Land!“

Apropos: Hat eigentlich schon mal irgendjemand darüber nachgedacht, warum die Manager in der Treuhand alle „Wolf“ und „Fuchs“ oder „von Bismarck“ hießen, die Ostbetriebsräte dagegen „Gottfried“ und „Friedbert“ – einer sogar „Lammfromm“ mit Nachnamen? Ach egal, vorbei. Scheiß drauf!

„Ausfahrt Ost“, heute um 0.40 Uhr, ZDF „Schlussverkauf DDR“, 3. und 4. 11., 20.45 Uhr, Arte

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