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Die Freiheit, anders zu sein

■ Eine bunte Mischung feierte mit den Bremer Sinti und Roma die Nacht der Jugend / Die taz berichtet heute gemeinsam mit der Schlachthof-Jugendredaktion über den Abend

Eigentlich hätte es die zweite „Nacht der Bremer Jugend“ werden sollen. Doch irgendwie wurde der 20. Geburtstag des Landesverbands der Sinti und Roma, den das Rathaus in der Nacht zum Dienstag ausrichtete, eher zur Nacht der zweiten Jugend. Der obere Rathaussaal jedenfalls war bei der über einstündigen Eröffnung der Veranstaltung mit Reden, Reden, Reden – unter anderem von Schirmherr und Bürgermeister Henning Scherf, dem Vorsitzenden des Bremer Landesverbands der Sinti und Roma, Ewald Hanstein und Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats des Verbands Deutscher Roma und Sinti –, gepackt voll mit grauen Köpfen.

Trotzdem: „Ich fand das gut“, sagt Fünftklässler Marko vom Kippenberg-Gymnasium. Als er um acht Uhr gehen muss – „Bettzeit, was?!“, wie ein paar Achtklässler hinter ihm her äffen –, strömen immer mehr ältere Jugendliche ins Rathaus. Die Bremer Hip Hop Bands „Gipsy Vibes“ und „Mutlu“ – „voll geile Musik“, wie Anna und Kristin wissen – locken sie. Andere, wie Julia und Hanna, kommen, weil sie schon letztes Jahr bei der ersten „Nacht der Jugend“ zum Gedenken der Reichspogromnacht dabei waren. Wieder andere brachte der Zufall ins Rathaus. „Ich habe einen Zettel gesehen. Da stand das drauf.“ Eins eint die Jugendlichen dabei: Ratlosigkeit, wenn sie gefragt werden, warum das Durchschnittsalter dieser Jugendnacht bei 40 Jahren liegt. Vielleicht zu wenig Werbung, weil gerade Ferien waren? „Vielleicht, weil die jungen Leute gerade das ganze Wochenende gefeiert haben“, wie der Hodja der bosnischen Muslime verständnisvoll grinst. Er war – wie nur wenige Vertreter muslischer Organisationen – der Einladung ins Rathaus gefolgt. Die muslimischen Jugendlichen dafür kamen umso zahlreicher – „und die von der jüdischen Gemeinde kochen sogar in der Küche“, staunt eine nicht-jüdische Besucherin. „Alles läuft viel entspannter als letztes Jahr“, kommentieren auch Insider spürbare Erfolge des Multi-Kulti-Programms. Über den Marktplatz schallen derweil die Weisen ungarischer Sinti-Musiker, zu denen Frauen später, im Gang, noch vergnügt das Tanzbein schwingen werden.

Die Lautsprecherboxen im Fenster des oberen Rathaussaales hatten zuvor schon Wortfetzen der Reden über die Passanten hinweg geweht. „Aufarbeiten“. „NS-Verfolgung“. „Freunde“. In unterschiedlichen Worten sagen viele wie später Michel Friedmann vom Zentralrat der Juden in einer Diskussion: „Multikulturelle Gesellschaft ist eine Bereicherung, keine Bedrohung.“ Und auch die jungen Sinti und Roma, die zur Feier des Landesverbandes gekommen sind, nicken: „Ich finde diese Veranstaltung gut.“ Die symbolische Absicht des Bürgermeisters, „Menschen, die früher vor den Stadttoren gehalten wurden“, in den schönsten Saal der Stadt einzuladen, zeigt Wirkung.

Dennoch glitt der Abend nicht in falsche Harmonie ab. Mit den demokratischen Idealen der französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – machte der jüdische Filmemacher Karl Fruchtmann klar: „Gleichheit heißt Freiheit. Und Freiheit heißt, anders sein zu dürfen.“ Entsprechend verabreichte Michel Friedmann dem Bremer Bildungssenator Willi Lemke eine kalte Abfuhr, der hinsichtlich der – rein männlichen, wenig jugendlichen – Besetzung der Diskussionsrunde zum Thema „Das Recht, anders zu sein“ mit Friedmann, Scherf, Fruchtmann, Fußballer Marco Bode und Vertretern der Sinti fragte: „Wo sind wir denn hier am Tisch anders?“ Gereizt zählte Friedmann eine lange Liste von Unterschieden auf und erntete Applaus für die Bemerkung: „Wenn schon ein Berliner nicht mit einem Bayern verglichen werden will – was ist falsch daran, dass ich nicht mit einem Katholiken in einen Topf will?“ Die Chance liege im Bekenntnis zur Verschiedenheit. Die Grenze sei die Gewalt.

ede (taz, die tageszeitung)/

Sarah Kamp

(Jugendredaktion der „Zett“)

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