piwik no script img

Geht es „nur“ um den Schlammpeitzger?

■ Umweltschützer reagieren mit heftiger Kritik auf tendenziöse Interpretation der neuen Hollerland-Expertise / BUND: 77 Arten schützt der Naturschutz im Hollerland

Für 30.000 Mark hat der Hamburger Zoologe Prof. Horst Wilkens die vorliegenden Gutachten zum Thema Hollerland gelesen und auf 30 Seiten zusammenfassend ausgewertet unter dem Gesichtspunkt, was sie für die Kriterien der „Flora-Fauna-Habitat“-(FFH)-Richtlinie der EU aussagen. Ergebnis: Es gibt eine seltene Fischart, den Schlammpeitzger, der die Meldung dieses Gebietes als FFH-Gebiet erforderlich macht.

„Das war alles bekannt“, urteilen Umweltschützer über den Inhalt des Papiers. Da der Zoologe ausdrücklich „keine eigenen Erhebungen“ durchgeführt hat, konnte das nicht anders sein.

Um die Interpretation des Papieres ist es dennoch zu einem heftigen Streit gekommen. Unter der Schlagzeile „Naturschutz allein für den Schlammpeitzger?“ hatte der Weser Kurier (WK) gestern über das Gutachten berichtet und den Eindruck erweckt, der Naturschutz dieses Gebietes sei durch eine seltene Fischart gerechtfertigt. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass das gesamte Hollerland wegen eines Lebewesens unter einen zusätzlichen Schutz gestellt werden soll“, zitiert der Weser Kurier den CDU-Fraktionsvorsitzenden Jens Eckhoff.Die Expertise werde vom Umweltressort „unter Verschluss“ gehalten, „weil ihre Ergebnisse politisch nicht in den Kram passten“, zitierte der WK seinen Informanten „aus dem Wirtschaftsressort“. „Das Hollerland ist als Erweiterungsfläche für den Technologiepark unverzichtbar“, legte der Wirtschaftssenator gestern mit einer Pressemitteilung nach.

Die Umwelt-Verbände kannten die Expertise allerdings längst und hatten ihr fachlich keine Bedeutung beigemessen. „Ahnungslos“ sei der CDU-Fraktionsvorsitzende, kontert der Vertreter der BI Hollerland, Dieter Mazur. Denn für die FFH-Liste der EU gehe es ausschließlich um die Arten, die europaweit extrem bedroht sind. „Bremen ist nach EU-Recht verpflichtet, das Hollerland auch als FFH-Gebiet zu melden“, sagt Mazur.

Dies ist auch die Auffassung des Umweltressorts, bestätigt deren Sprecher Olaf Joachim. Er erinnert sich, dass der Chef der Bremer Investitionsgesellschaft, Ulrich Keller, im Zusammenhang der Subventionierung von Windenergie-Projekten mit den Worten zitiert wurde: „EU-Recht ist für uns bindend.“ Joachim: „Ich wünschte mir so eine klare Aussage auch in anderen Bereichen des EU-Rechts.“

Vor allem aber, sagt der BI-Vertreter Mazur, haben die Kriterien der FFH-Richtlinie nichts mit den Kriterien des deutschen Naturschutzes zu tun. Nach den Kriterien des Naturschutzes umfasst die Liste des Hollerlandes 77 Arten. „Das ist kein minderwertiges Naturschutzgebiet, sondern ein außerordentlich hochwertiges“, sagt der Vertreter des BUND, Martin Rode. Im Gutachten steht ausdrücklich, dass das Naturschutzgebiet Hollerland „mit seinem hohen Anteil von Rote-Liste-Arten ein Gebiet mit hoher Bedeutung für den Arten- und Biotopschutz in Deutschland“ darstelle. Das ist für die FFH-Richtlinie unerheblich, für den deutschen Naturschutz aber entscheidend. Dass der Autor des Weser Kurier, der die 30 Seiten vorliegen hatte, in seinem tendenziösen Bericht auf diesen Unterschied nicht hinweist, kann sich der BUND-Vertreter nur damit erklären, dass er „in Lilinthal wohnt“ und einen persönlichen Vorteil davon hätte, wenn durch das Hollerland die vom Wirtschaftsressort geforderte Auto-Trasse gebaut werden könnte. K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen