: Wo ist denn der ganze Kram?“
■ Die DDR ist tot, es lebe die DDR! Zum Jahrestag des Mauerfalls gehört ein richtiger Mauerfilm: „Helden wie wir“ von Sebastian Peterson ist die Verfilmung des Wende-Bestsellers von Thomas Brussig. Ein Gespräch mit dem Regisseur über ein ostwestübergreifendes Spießertum
Erst kam Margarethe von Trotta, dann Andreas Dresen, dann kam länger nichts, und jetzt machen sie's alle: Die DDR scheint zum filmischen Subgenre zu avancieren. Eben gerade hatte sich Leander Haußmanns ostalgische „Sonnenallee“ als Kultfilm zum Mitsingen entpuppt, da dräuen schon die „Helden wie wir“ am Horizont. Sebastian Petersons Spielfilmdebüt nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Brussig erzählt die Geschichte des DDR-Bürgers Klaus Uhltzscht, der am 9. November 1998 die Mauer qua Einsatz seines Gemächts zum Fallen brachte. Der Film des gebürtigen Hamburgers Peterson ist allerdings weniger sexualisiert als die Romanvorlage. Keine krachlederne Abrechnung, eher eine atmosphärische Annäherung an DDR-Befindlichkeiten. Mit Unmengen von eingeschnittenem Dokumentar- und Fernsehmaterial erzählt der gelernte Cutter die Geschichte einer ostdeutschen Sozialisation – von den trashig belichteten 70ern übers Stasispießertum bis zum Wendechaos.
taz: Dein Film kommt am 9. November, also genau zum Jahrestag des Mauerfalls ins Kino, damit behauptet er sich ja auch ein bisschen als Gesamtkommentar, als „Jahrestagsfilm“. Könnte es sein, dass „Helden wie wir“, wie ja kürzlich auch „Sonnenallee“, in der Betrachtung eine enorme ideologische Brisanz bekommt?
Sebastian Peterson: Klar, aber innerhalb des Films hat mich diese Ebene nicht interessiert. Ich wollte eher wissen, wie sich die DDR privat angefühlt hat. Und über diesen Umweg auch an diese ganze Ostalgie herankommen. Es hat doch im Westen gar keine richtige Auseinandersetzung mit der DDR gegeben. Nur mit den Highlights: Jeder weiß, wo das Politbüro getagt hat, jeder weiß, wie Wandlitz aussah und wie es bei Mielkes zuging. Alles abgegessen. Mir ging es eher um die Kleinigkeiten, um die Atmosphäre, um einen anderen Blick ...
Was ist denn dein Blick auf die DDR, du kommst ja aus dem Westen, oder?
Ich komme aus Hamburg, aber ich bin halber Ossi. Ich habe 91 angefangen, an der HFF in Babelsberg zu studieren, da war die DDR ja noch voll da. Und meine Eltern hatten Freunde aus Dresden, die haben wir oft in Ost-Berlin getroffen. Und den Mauerfall fand ich schon immer interessant. Für mich war das einer der ganz wenigen Momente der deutschen Geschichte, die wirklich gut abgelaufen sind. Was danach kam, diese ganze Wiedervereinigungsfeier und der ganze Scheiß, das war doch schon mehr eine Staatsangelegenheit. Der Mauerfall kam echt von unten und war ein wirkliches Happening.
Den hast du wohl in Hamburg erlebt, oder?
Im Bett, vor der Glotze, ich hatte keine Lust aufzustehen, weil ich mich gerade ziemlich Scheiße fühlte, und ich hab gar nicht kapiert, worum es da eigentlich ging. Ich dachte einfach, die machen die Grenzen heute auf und morgen wieder zu. So richtig begriffen habe ich das alles erst, als die ersten Trabis in Hamburg einfuhren. Übrigens, 1989 war ich in Ungarn, am Plattensee ...
... da haben doch die ganzen Ostler immer Urlaub gemacht.
Ich hatte so einen alten Lada, und wenn die Leute den gesehen haben, hieß es: Der Schlafplatz kostet 30 Mark, und dann haben die das Westschild gesehen, dann kostete er plötzlich 70 Mark.
Da hast du dir dann gewünscht, Ostler zu sein!
... nee, aber ich habe ein paar junge DDR-Leute kennengelernt, die haben natürlich die ganzen Flüchtlingsgeschichten diskutiert, und der eine meinte: Die Mauer steht noch zwei Jahre, und dann ist Schluss. Und ich: Träum weiter! Ein paar Monate später war es dann so weit.
Hast du im Westen ein bisschen DDR-Pop abgekriegt?
Ich war zum Beispiel Anfang der Achtziger in Hamburg Karat-Fan, es war in Hamburg einfach todschick, Karat und City zu hören. Die Puhdys nicht.
... die waren eher in den Siebzigern angesagt ...
Und ich find's heute noch gut, also „Über sieben Brücken“ von Karat oder „Albatros“ und „Schwanenkönig“ sind richtig geile Songs.
Warum bist du dann nach dem Mauerfall eigentlich zur Potsdamer Filmhochschule gegangen?
Ich hatte mich bei den Filmhochschulen in München, Berlin und Potsdam beworben. Na ja, und die anderen wollten mich nicht haben. In Babelsberg habe ich mich allerdings beim Fachbereich Schnitt beworben und dann als Cutter meine eigenen Filme inszeniert.
Hat dich das Interesse für die DDR dann zu „Helden wie wir“ gebracht?
Nein, die Produktionsfirma hat mir vorgeschlagen, den Film zu machen, nachdem sie meinen Abschlussfilm gesehen hat. Das war natürlich von Anfang an ein sehr schwieriger Stoff, denn wie soll man die DDR wieder auferstehen lassen, wenn man nicht in eine Kulissenstadt geht, wie das „Sonnenallee“ gemacht hat. Außerdem ist der Roman natürlich sehr episodenhaft gestrickt, und es brauchte eine wirkliche Idee, um das Ganze zusammenhalten. Und dann die ganzen Unterleibsgeschichten, wie soll man das darstellen, wenn man keinen Porno drehen will?
Das mit dem Unterleib ist ja im Roman sehr absurd, geradezu grotesk ...
So ein Penis in Übergröße, der auch noch die Mauer öffnet, das liest sich ja ganz lustig, aber wenn man den Penis dann im Film zeigen würde, dann wäre das geschmacklos, doof, albern. Das sollte man eher der Phantasie des Lesers beziehungsweise Kinozuschauers überlassen.
Den Strip auf der Mauer fand ich ja sehr elegant gelöst. Mit dem Balken über der entscheidenden Stelle.
Für mich hat die zurückhaltende Umsetzung des Buches auch damit zu tun, dass ich die DDR immer als leises, stilles Land erlebt habe: „Stilles Land“, den Titel des Films von Andreas Dresen fand ich treffend. Ich fand die DDR auch immer ein bisschen melancholisch, und ich fand, dass ein DDR-Film eben auch eher leise sein muss. Und einen Hauch melancholisch.
Dann war die Verfilmung von „Helden wie wir“ ja eher eine Arbeit gegen das Buch, oder?
Nein, mit dem Buch – beziehungsweise eine Weiterführung des Buches. Über den Roman sagte Thomas Brussig ja, er wollte damals als junger Autor raus aus der Anonymität und habe deshalb ziemlich auf die Pauke gehauen. Da war jemand, der hatte Wut im Bauch. Der wollte nicht die große politische Aufräumarbeit leisten, sondern sich darüber lustig machen, wie kleingeistig diese großen Ideale von sozialer Gerechtigkeit umgesetzt wurden. Deshalb hat mir im Roman zum Beispiel sehr gefallen, dass die Mauer nicht durch das Volk der DDR geöffnet wurde.
Als ob sich das Volk – und was ist das überhaupt? – unter Einsatz des Lebens gegen die Grenzer gestemmt hätte. Dabei war es doch nicht die Oppositionsbewegung der DDR, die da stand! Dazu passt natürlich Brussigs absurder Einfall, dass die Mauer durch einen Zufall, durch eine Nichtigkeit, durch den Schwanz von Klaus Uhltzscht geöffnet wurde. Genauso eine Nichtigkeit wie die von Schabrowski, der gesagt hat: „Reisen nach dem westlichen Ausland können ab sofort ohne Vorliegen jeglicher Gründe ...“
Das war ja eigentlich ein Missverständnis, er meinte ja etwas ganz anderes.
Genau, aber aus diesem verklausulierten Politbürodeutsch ist letztendlich der Fall der Berliner Mauer geworden. Das hat ja die „Tagesschau“ sofort aufgegriffen. Daraus hat Brussig dann seine Geschichte gesponnen, und ich habe sie halt weitergesponnen.
Ich finde, dass es dir vor allem in der ersten Hälft des Films, in der Kindheitsgeschichte, gelungen ist, so etwas wie DDR-Alltag zu beschreiben. Und zwar nicht trist und grau, sondern eben bunt, Orwo-bunt. War das alles Recherche oder deine Potsdam-Sozialisation?
Alles zusammen. Ich habe sehr viele Leute aus dem Osten ins Team geholt, meistens ehemalige Kommilitonen von der Filmhochschule. Das hat sich so ergeben. Ich hab da nicht jedesmal gefragt: „Woher kommst du denn eigentlich?“ Ansonsten habe ich mir auf der Suche nach Sachen, die ich einschneiden kann, irre viele Dokumentaraufnahmen angesehen.
Aber leider mussten unsere Sets dann genauso aussehen wie die Räume im Dokumentarmaterial. Zum Beispiel haben wir Teile des Films in Leipzig gedreht, aber die Schulaufnahmen mussten wir wieder in Berlin drehen. Denn nur da gab es diese komischen Ost-Fenster mit dieser Klappe. Die kennt da jeder.
Hattest du denn manchmal auch das Gefühl, eigene Geschichte und Geschichten zu verfilmen?
Also eigentlich von Anfang an. Die Figur dieses Stasi-Typen Wunderlich hat mich total an meinen Opa erinnert, also dieser Preuße, der immer alles ganz genau machen will und der nie privat, sondern immer nur dienstlich denkt. Die Spießbürgerlichkeit der DDR, die kannte ich schon von zu Hause, aus dem Hamburger Vorort, in dem ich aufgewachsen bin. Und dann gab's noch jede Menge andere Parallelen zu den Siebzigern im Westen: Die Schlaghosen, der ganze Look, die Klappräder.
Auch die Wahrnehmung von Geschichte. Irgendwann im Film wechseln ja die sowjetischen Generalsekretäre wie im Abreißkalender.
Das war doch bei den Päpsten ganz genauso!
Und wie seid ihr darauf gekommen, Ernst Thälmann als echten Teddy darzustellen?
Das war Brussigs Idee. Ich fand es schon interessant, dass Ernst „Teddy“ Thälmann so was wie der Jesus Christus der DDR ist. Jede Menge Leute haben mir erzählt, dass sie jeden Stein in diesem Gefängnishof kennen, in dem die Mithäftlinge die Faust geballt haben zum „Rotfront Teddy“. Wobei ich aber auch wieder Angriffe bekommen habe: „Wie kann man so mit Ernst Thälmann umgehen?“
Dabei geht der Film doch liebevoll mit den DDR-Mythen um.
Es geht ja auch um eine Art Erinnerungsarbeit. Nach der Wende wurde ja erst mal alles weggeschmissen. Das fand ich auch ein interessantes Phänomen: Ein Staat löst sich mit der ersten demokratisch legitimierten Regierung per Mehrheit selbst auf – und dann wird alles weggeschmissen. Nach fünf Jahren haben sich dann plötzlich alle gefragt: Wo ist denn der ganze Kram? Dann ging es wieder damit los, dass irgendwelche Westkonzerne wieder Spee und Kabinett auf den Markt geschmissen haben. Teilweise kam es mir so vor, als hätten 16 Millionen Leute kollektiv ihr Gefühl von Heimat entsorgt. Als ich das damals gesehen habe, dachte ich: Das kommt zurück wie ein Bumerang. Und jetzt ist es da.
Interview: Jürgen Kuttner
„Helden wie wir“, nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Brussig. Regie: Sebastian Peterson. Mit Daniel Borgwardt, Adrian Heidenreich, Xenia Snagowski, Udo Kroschwald u. a.; D 1999, 93 Min.
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