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Aus Wut die Lehrerin geohrfeigt

In den vergangenen drei Jahren wurden 41 Lehrer von Schülern angegriffen. Die Gewalt hält sich aber in Grenzen, häufig sind verbale Attacken. Ernstester Vorfall: Messerstiche wegen schlechter Mathe-Note  ■   Von Julia Naumann

Vor einem Jahr waren sie alle geschockt, die Lehrer genauso wie die Schüler der 6. Gesamtschule in Hohenschönhausen: Ein 15-jähriger Junge hatte mit einem Taschenmesser auf seine Mathematiklehrerin eingestochen. Der Grund: Wut über eine Vier im Mathe-Test.

Die Lehrerin, der der Täter Fleischwunden an Ohr und Arm zugefügt hatte, die aber nicht lebensgefährlich waren, ist seitdem krankgeschrieben. Ebenso wie im sächsischen Meißen, wo ein 15-jähriger Schüler vor zwei Tagen eine Lehrerin erstach, handelt es sich bei dem Hohenschönhauser Attentat um einen „absoluten“ Einzelfall, ist der stellvertretende Leiter der Schule, Reinhard Mugrauer überzeugt: „Es ist der erste und einzige Fall an unserer Schule, wo es zwischen Schülern und Lehrern zu tätlicher Gewalt kam.“ Nach Angaben der Schulverwaltung ist der Vorfall an der Hohenschönhauser Gesamtschule bisher der schlimmste in Berlin überhaupt. Einen Mord an einem Pädagogen, verübt von einem Schüler, habe es in den vergangenen zehn Jahren definitiv nicht gegeben, so Rita Hermanns, Sprecherin von Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD). „Natürlich kann man nicht sagen, so etwas wie in Meißen würde in Berlin nie passieren“, sagt Hermanns. Doch tätliche Gewalt gegen Lehrer sei eher selten. Nur 3,7 Prozent aller Gewalttaten von Jugendlichen würden in den Schulen verübt.

Das belegt auch die Statistik: In den vergangenen drei Jahren hat es 41 Fälle gegeben, in denen Lehrer von Schülern verletzt wurden. Das sind jedoch nur die Fälle, die offiziell gemeldet wurden. Wie hoch die Dunkelziffer ist, konnte Hermanns nicht sagen.

In den meisten Fällen handele es sich um Prügeleien zwischen Schülern, wo die Lehrer eingegriffen und dann selbst etwas abbekommen hätten, so die Sprecherin. Acht Fälle von schwerer Körperverletzung habe es in den letzten drei Jahren gegeben. Die Täter seien zwischen 11 und 16 Jahre alt, es handle sich um Gymnasiasten wie um Hauptschüler.

Angegriffen wurde auch die Schulleiterin der Robert-Jungk-Gesamtschule in Wilmersdorf, Ruth Garstka. Garstka wurde im vergangenen Schuljahr von einem Schüler so stark geohrfeigt, dass sie eine Gehirnerschütterung bekam. Die Lehrerin hatte den Jugendlichen des Schulhofs verweisen wollen, weil er mit anderen Schülern Streit angefangen hatte. Garstka hatte Anzeige erstattet, der Schüler bekam eine Geldstrafe und ist jetzt an einer anderen Schule. „Die Tat war nicht geplant, der Schüler hat im Affekt gehandelt“, sagt Garstka. Auch für die Schulleiterin, die seit 25 Jahren im Schuldienst ist, handelt sich dabei um einen „absoluten Einzelfall“ an ihrer Schule. Was es jedoch häufiger gebe, seien verbale Beschimpfungen, insbesondere von Lehrerinnen. „Auch an den Schulen gibt es mehr Gewalt gegen Frauen als gegen Männer“, hat Garstka beobachtet.

Beschimpfungen hat auch eine Lehrerin an einer Tiergartener Grundschule erfahren. „Fick dich!“ und „Schlampe“ würde auch bei den Jüngeren „ab und zu mal“ fallen. Die Lehrerin, die eine dritte Klasse unterrichtet, hat deshalb bestimmte Verhaltensregeln aufgestellt. „Die Kinder müssen mich immer siezen, damit sie verstehen, dass ich kein Kumpel oder eine Freundin bin.“

Zur Deeskalation beitragen können auch so genannte Konfliktlotsen, die es mittlerweile an 10 Grundschulen und 20 Oberschulen gibt. Die Schüler lernen in Seminaren, Streits eigenhändig und ohne die Lehrer zu lösen. An der Rütli-Schule, einer Hauptschule in Neukölln, gibt es solche Programme seit einigen Jahren. „Es ist eine andere Streitkultur an der Schule entstanden“, bilanziert die Lehrerin Hilde Holtmanns. Durch das friedlichere Klima hätten auch Prügeleien zwischen den Jugendlichen nachgelassen und das Lehrer-Schüler-Verhältnis habe sich wesentlich verbessert.

Siehe auch Bericht Seite 6

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