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Unser Traum vom Wohnen ist das nicht“

Mit der neuen Staffel von „Stadt, Land, Fluss“ widmet sich der SFB gewohnt kritisch dem Berliner Baugeschehen. Der Start mit „Gute Lagen, schlechte Lagen“ über das Wohnungsbauprogramm des Bundes ist aber ein Flop. Sender macht sich zum Makler von Investoren  ■   Von Rolf Lautenschläger

Es kann passieren, dass derzeit der Blick in die Immobilienseiten an merkwürdigen Anzeigen hängen bleibt: „Neu, Moabiter Werder, zwei Zimmer mit Küche und Bad mit Blick auf den Tiergarten und den Reichstag zu vermieten. 19,50 Mark Miete pro Quadratmeter zuzüglich Nebenkosten.“

An anderer Stelle liest man ähnliche Annoncen über Wohnstandorte in Karlshorst oder Lichterfelde. Die Wohnungen sind zum größten Teil neu gebaut, teuer und liegen in frisch gebauten Siedlungen. Das Entscheidende jedoch ist: Die Wohnungen gehören dem Bund, der diese für seine Bonner Beamten hat bauen lassen. Und: Mangels Nachfrage werden die Flächen jetzt auf dem freien Markt angeboten. Der SFB hat sich zum Start der neuen Staffel „Stadt, Land, Fluss“ jener Bundeswohnungen angenommen – und tut dies, als wäre der Sender Mitglied im Verband Deutscher Makler. Als Indiz dafür kann gelten, dass die gestrige Uraufführung des Fernsehfilms mit dem süffisanten Titel „Gute Lagen, schlechte Lagen. Neues Wohnen für Bonner und Berliner“ in den Treptowers der Allianz-Versicherung über die Bühne ging. Beweis genug für die Maklerei aber war der Beitrag selbst, dem kein Klischee zu billig war, Wohnflächen mit dem PR-Vokabular von Immobilienfirmen anzupreisen.

Dabei sucht sich der Bericht von Jürgen Boettcher die drei Großprojekte aus – die „Schlange“ auf dem Moabiter Werder, das ehemalige sowjetische Militärgelände Karlshorst und die US-Kasernen in Lichterfelde –, an denen exemplarisch gezeigt werden könnte, warum die Bonner lieber nach Schöneberg, Mitte, Prenzlauer Berg oder ins Umland ziehen. Rund 3.500 Wohnungen sind dort entstanden oder werden gebaut. Vom hohen Anspruch qualitätvollen Wohnens und urbanen Städtebaus, das zeigt Boetticher en passant, ist wenig geblieben. Die Wohnungsgrundrisse in der Schlange“ sind katastrophal, der Städtebau „gefängnisartig“, wie ein Bewohner erzählt.

In Lichterfelde entstehen vorstädtische Reihenhaussiedlungen und ummauerte Hüttchen, die den „Käfigen“ aus Stasi-Knästen in nichts nachstehen. „Unser Traum vom Wohnen ist das nicht“, meint eine Interessentin und rümpft die Nase. Viel Bonner suchten sich was Besseres. Jetzt können da Berliner rein.

Doch was macht der SFB daraus? Warum nimmt er nicht Architekten, renditegeile Investoren und Politiker aufs Korn? Nur nicht zu kritisch, wird man im Sender gesagt haben. Und ganz ohne sind die vielen neuen Wohnungen – weil jetzt auch für uns – doch nicht. Also mutiert die „Schlange“ mittels Luftaufnahmen zur „citynahen Tiergartenadresse“. Karlshorst hinter Baumwipfeln wird „schönes grünes Wohnviertel“. Präsentiert werden drei Projekte, „die dazu beitragen sollen, das Wohnen in Berlin attraktiver zu gestalten und der Stadtflucht ins Umland Einhalt zu gebieten“. Da nimmt man Reißaus und sehnt sich nach Altbauwohnungen mit Dielen, Ofenheizung et cetera im Schwarzweißfilm.

Schade eigentlich, dass der erste Beitrag ebenso billig daherkommt wie zum Teil die Bauten auf der grünen Wiese. Denn die Reihe des SFB, erst mit dem Titel „Wir bauen eine neue Stadt“ und nun „Stadt, Land, Fluss“, ist keineswegs nur Discount-Ware. Waren in der Vergangenheit die Dokumentationen über das Regierungsviertel gut recherchierte Beiträge, so könnten in der neuen sechsteiligen Staffel ebenso welche dabei sein. „Bauplatz Museum“ etwa untersucht die Pläne zwischen Museumsinsel und Topographie des Terrors. „Schön und schlau“ dokumentiert ökologische Bauten in der Stadt. Und auch der politische Streitfall zwischen SPD und CDU, die Zukunft des Airports Tempelhof – ob „Gewerbe oder Wiese – wird Thema.

„Stadt, Land, Fluss – Berlin“. Jeweils dienstags um 22.15 Uhr auf B1. Start mit: „Gute Lagen, schlechte Lagen“ 16. 11. 1999.

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