piwik no script img

Überschuss der Obertöne

Peter Weber pflegt den im Quellbezirk sprudelnden, an der Mündung behäbigen Erzählton: „Silber und Salbader“ fordert Lektüregewohnheiten heraus  ■   Von Ulrike Baureithel

Italienische Archäologen, meldeten kürzlich die Nachrichtenagenturen, haben die aus der römischen Kaiserzeit stammenden Thermen des Horaz entdeckt und freigelegt.

Die auf 400 Quadratmeter Fläche angelegten Kalt- und Warmbaderäume, in denen sich der berühmte Dichter entspannte, hätten seinen genau zweitausend Jahre später geborenen Schweizer Kollegen Peter Weber gewiss inspiriert, wäre dessen Ode an das Bäderwesen da nicht bereits über das Limmattal gen Norden ins Frankfurter Verlagshaus gespült worden; in mehreren vom Autor überarbeiteten Fassungen übrigens, die, regelmäßig auf die Schreibtische der Rezensenten geleitet, schon vor der eigentlichen Lektüre etwas ahnen ließen von der quellenden, wallenden, Wasser und Töne speienden, also „salbadernden“ Materie.

Ein „Salbader“, gibt das etymologische Wörterbuch Auskunft, ist ein Schwätzer, ein Mensch also, der einen mit Wortschmalz einsalbt und verführt. Besonders erfolgreich ist ein Salbader, wenn sich sein Opfer in einem Entspannungszustand befindet, etwa in der Badewanne oder noch besser im schwefel- oder salzschwangeren Heilbad. Im Zustand der ausgelieferten Nacktheit bricht das salbungsvolle Geschwätz dann jeden Widerstand, und so ist es kein Wunder, dass der Salbader mit dem Bäderwesen in inniger Symbiose lebt.

Um diese verführerisch-„tönende“ Rede geht es letztlich auch in Peter Webers Roman „Silber und Salbader“. Die Geschichte des Wendelin Selb, genannt Silber und begnadeter Maultrommelspieler, beginnt im Bäderhotel „Rose“ der kleinen Stadt Baden im Limmattal, wo der Legende nach Helvetia gesundete und wo sich nach der römischen Annexion die neuen Herren ausschweifenden Badefreuden hingaben.

Nach dem Tod des Großvaters übernimmt Silber zusammen mit seiner Freundin Pina, Bratschistin und im Nebenerwerb „Teilzeitquellwärtin“, den Bäderbetrieb der „Rose“, nachdem er dem Straßenmusikantendasein an der Zürcher Gleisharfe den Rücken gekehrt und im „Quellhof“ im hinteren Raschtal eine Schnelllehre in Sachen phantastischem Kurbetrieb absolviert hat.

So dürr dieses Handlungsgerüst daherkommt, so ausschweifend füllt der Autor die 21 Kapitel, die nicht nur wegen der den Inhalt vorwegnehmenden Einleitungen an barocke Vorbilder gemahnen. Wichtig in dieser an- und abschwellenden Rede ist nicht die Tat, sondern der Ton, im Quellbezirk sprudelnd, an der Mündung breitflächig-behäbig: „Grundton und Ableitung“, formuliert Weber dieses musikalische Erzählgewebe, „Zungenschlaginstrumente und ihre phantasietreibende Kraft. Meine körpereigene Musik.“

Den Grundton der Geschichte bestimmen Voraussetzungen und Bedingungen des Heilbadewesens: Neutrale Abhandlungen über geologische und klimatische Gegebenheiten, teilweise glossarisch aufgelistet, bilden die erzählerischen Spannfäden, in die, urplötzlich, der phantastische „Schuss“ fährt, Überschuss produziert, in Silbers Sprache: Obertöne.

Noch eben war ganz sachlich von den „Quellbärten“ die Rede, dann von den Bärten, deretwegen die Quellwärterinnen ihre Männer auswählen, aus denen schließlich Barden der Erzählkunst hervorgehen, die „keinen Bart reden“ dürfen. Dieses lautmalerische, rhythmische Element ist ein wesentliches Kennzeichen von Webers Prosa, „Oberton-“ und „Untertongeschehen“ wechseln sich ab, vermählen sich wie die Tongeschlechter mit dem Stein, es „selbt“ und „silbert“ und „salbadert“, ob nun an der Hardtbrücke in Zürich, wo die Akkordarbeit den Ton gebietet, oder im phantasierten hinteren Raschtal, das dem Toggenburgischen, woher Weber stammt, nachempfunden ist.

Im Übrigen ist die Textilmetapher nicht willkürlich gewählt, denn das Textil bestimmt Webers Textur: In einem der vielen Erzählstränge verfolgt er präzise die Geschichte der Ostschweizer Textilindustrie aus dem Geiste des Moltons.

Mit diesem Grundstoff werden nicht zuletzt die Klaviere ausgestattet, damit ein voller Moll-Ton hervorgebracht werden kann ... und schon wird der Leser wieder eingesponnen in den synästhetischen Rhythmus, in dem die Monotonie der Moltonmaschine und die hohen Quinten der fließenden Quelle Leseschwindel erregen. Sprachspiel, Rhythmus und erzählerische Phantasie erzeugen einen „Spin ohne Ende, ohne Anfang“, den unendlichen künstlichen Faden, wenn man so will dichterische „Polymerisation“:

„Den Kindern erzählen sie, dass der unendliche Faden aus ihren Maschinen, von einer Strickmaschine zum Socken verstrickt, so groß geworden war, dass er, im Raschtal an allen Horizonten gut befestigt, den Mond in der Ferse eingepackt hätte, wäre da nicht eine einzige kleine Laufmasche gewesen.“

Wie schon Webers vor sechs Jahren erschienener, vielgelobter Erstlingsroman „Der Wettermacher“ ist auch „Silber und Salbader“ ein Roman über die Schweizer Landschaft und die Menschen, die in ihr leben.

Für das bundesdeutsche Publikum mag der Gang zur alemannischen „Quelle“ mitunter fremd anmuten, doch die sanfte Ironie des Autors bleibt ganz frei von Denunziation: „Ziel der weltbekannten Appenzell-Innerrhodischen Helmpolitur bleibt es, in der Spiegelung das Landganze einzufangen, das Dorf, die Kirche, die Berge und den Himmel über Innerrhoden.“ Lokalkolorit ja, aber keine Heimatdichtung.

Aufgespannt zwischen dem geräuschreichen westlichen Limmattal und der ruhigeren Ostschweiz „erfindet“ Weber die Landschaft und stattet sie realistisch aus, nicht nur morphologisch, sondern auch genealogisch-biographisch, etwa mit der verzweigten Familiengeschichte der Selbs oder der lyrischen Liebesgeschichte zwischen „Maultrommel“ und „Bratsche“, die „zum Verlust der wohlgenährten Sprache“ führt.

Doch während Pina sich weigert, „stimmferne Körper zu pflegen“, hat Silber eine Schwäche für „fehlerhafte, beschädigte Stimmen, in denen die Abgründe hörbar waren. War selber Fehlerquelle geworden.“

Die eingewohnten Lektüren werden von Webers „tonaler Sprache“ und seinem mäandernden Erzählstil heftig herausgefordert, und mitunter versandet die genau kalkulierte Prosa auch in ästhetisierender „Salbaderei“. Auch die ausschweifenden Exkurse beispielsweise in die Geologie sind gelegentlich ermüdend.

Wie der Autor seinem Silber, wünscht sich auch der Leser eine gewisse „Mündungspflichtigkeit“ des Erzählers. Der Roman ist aus vielen Quellen geschöpft, aber nicht alle werden bis zu ihrer Mündung verfolgt. Peter Weber: „Silber und Salbader“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 297 Seiten, 39,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen