Der Freispruch ist wirtschaftlich erwünscht

■ Kinderpornos im Internet: Verurteilter CompuServe-Manager im Berufungsverfahren

Berlin (taz) – Die ganze Branche war entsetzt, als am 12. Mai vergangenen Jahres der Münchener Amtsrichter Wilhelm Hubbert sein Urteil sprach. Felix Somm, zur Tatzeit Geschäftsführer der damaligen deutschen Tochter des Onlinedienstes CompuServe, habe wissentlich gewaltverherrlichende Computerspiele, Kinder- und Tierpornographie verbreitet. Das verbotene Material kam aus dem Internet, zu dem Somms damaliger Arbeitgeber jedem zahlenden Kunden den Zugang verschaffte. Von heute bis voraussichtlich Mittwoch will nun das Landgericht I in München prüfen, ob dieser Richterspruch vor dem deutschen Recht Bestand hat.

Viel steht auf dem Spiel. Die Anklage gegen Felix Somm geht auf den November 1995 zurück. Münchener Ermittlungsbeamte hatten die Geschäftsräume von CompuServe aufgesucht, und den Geschäftsführer mehr oder weniger deutlich darauf hingewiesen, dass ihm rechtliche Folgen drohen, wenn er seinen Kunden weiter die Pornos anbiete, die sie in Internet-Newsgroups gefunden hatten. Verschreckt sperrte CompuServe gleich alle Diskussionsforen, die sich in irgendeiner Form mit der menschlichen Sexualität beschäftigen. Hohn und Spott in aller Welt waren die Folge, nicht nur über die engstirnige Moral dieser ersten Internetzensur in großem Stil, mehr noch über die blanke Ahnungslosigkeit, mit der die Münchner Polizei glaubte, für Ordnung sorgen zu können: Selbstverständlich waren alle auf den Rechnern von CompuServe gelöschten Dokumente weiterhin zugänglich – auch für Kunden von CompuServe, die nur eine andere Adresse eintippen mussten.

Vier Jahre später blüht das Geschäft mit dem Internet, Zugänge zu möglicherweise strafbaren Inhalten sind beinahe umsonst an jeder Straßenecke zu bekommen. CompuServe selbst hat diesen Boom nicht überlebt. Der stets als etwas konservativ, aber technisch solide geltende Onlinedienst gehört heute zu AOL. Somm selbst hat eine eigene Firma zu Beratung von Online-Anbietern aufgebaut – auch der Münchener Amtsrichter hielt dem umtriebigen Schweizer Geschäftsmann einen untadelige Lebensführung zugute. Er verurteile ihn zu einer Buße von 100.000 Mark und setzte die Haftstrafe zur Bewährung aus

Doch nicht das Strafmaß, sondern schon die Tatsache der Verurteilung wurde von AOL, Telekom und allen kleineren Internetprovidern einhellig als Skandal empfunden. Aus gutem Grund: Wer immer einen Zugang zum Internet anbietet, steht mit einem Bein im Gefängnis, wenn Amtsrichter Hubbert recht hat.

Schon in der ersten Instanz hatte am Ende auch die Anklage das Gefühl, eine Verurteilung von Somm widerspreche der technischen, wie auch der wirtschaftlichen Realität des Internet. Auch sie plädierte für Freispruch. Nicht nur Somm, sondern auch die Staatsanwaltsaft hat deshalb die Berufungsinstanz angerufen.

Ein Freispruch in der zweiten Instanz ist wahrscheinlich. Doch die Juristen, die ihn herbeiführen sollen, stehen vor einem Problem. Amtsrichter Hubbert hielt sich überaus treu an den Wortlaut des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes (IuKDG), das 1997 in Kraft getreten war. Es regelt in seinem entscheidenden Paragraphen die Haftung von Providern. Straflos sollen sie danach nur dann ausgehen, wenn sie Dokumente aus dem Internet an ihre Kunden bloß weiterleiten, nicht aber dann, wenn sie sie entweder selber produzieren oder „zur Nutzung bereithalten“. Die Formulierung zielt präzise auf den Fall Somm. CompuServe hatte für seine seinen Kunden Newsgroups auf seinen eigenen Rechner gespeichert, die dort sogar abrufbar waren, ohne dass man sich ins Internet einwählen musste. Der Tatbestand des Zur-Nutzung-Bereithaltens schien dem Amtsgericht daher erfüllt, Somm hätte strafbare Inhalte entfernen müssen.

Die Berufungsinstanz wird sich vor allem mit diesem Argument auseinandersetzen müssen, das außer für Newsgroups auch für die allseits beliebten Chat-Räume gilt. Denn auch diese Inhalte müssen von einem Anbieter eine gewisse Zeit zwischengespeichert und zur „Nutzung bereitgehalten“ werden. Chat-Räume lassen sich aber noch schlechter überwachen als Newsgroups: Eben deshalb werden sie gerne genutzt, um beispielsweise antisemitische Stammtischparolen zu verbreiten. Ob Provider auch für diesen Fall haften, lässt das heute geltende Gesetz offen. Die neue Bundesregierung hat angekündigt, sie wolle mit den Bundesländern über einen neuen, diesmal „zukunftsfähigen“ Rechtsrahmen für das Internet verhandeln. Niklaus Hablützel