: Ein Haus des Friedens im Libanon
Ein bisschen Schwaben, dreißig Kilometer südlich von Beirut. Bildungsurlaub im Libanon nur wenige Kilometer entfernt vom Krieg im israelisch okkupierten Südlibanon ■ Von Martina Sabra
Bildungsurlaub im Libanon? Da ist doch Krieg! Und doch können sie so unglaublich friedlich sein, die libanesischen Nächte. Morgens früh um drei funkeln die Sterne auf dunkelblauem Samt; vom Mittelmeer weht eine leichte Brise den Hügel herauf. Das abschließende Bier wird mit Irma aus Mülheim schwesterlich geteilt, genauso wie der Rest Fatusch, libanesischer bunter Salat mit geröstetem Fladenbrot. Es duftet nach warmer Erde und Jasmin, und Said, unser Reiseleiter, verkündet seinen nächsten Gag, obwohl wir schon völlig erschöpft sind vom Lachen. Sahra nennen die Araber das gemütliche Beisammensein in der kühlen, angenehmen Nacht, und man fällt dabei lieber vom Stuhl als auch nur eine Sekunde früher als nötig ins Bett.
Die Haut glüht noch von der Wärme des Tages; drei Stunden Wanderung in sengender Sonne, mit der höchst patenten libanesischen Begleiterin Latifa – die Liebenswerte! – hügelauf, hügelab durch verbrannte Herbstlandschaft und Macchie, bis hinauf ins Erlöserkloster Deir Mukhallis. Vorbei an betriebsamen Eigenheimbaustellen, vorbei aber auch an sehr vielen verlassenen Anwesen, deren Eigentümer auch nach 10 Jahren Frieden nicht heimkehren wollen oder können. Und immer wieder illegale Steinbrüche, Basis des Baubooms im Land. Sie hinterlassen grauweiße Wunden, die aussehen wie überdimensionierte Hundebisse in den sagenhaft grünen, regelmäßig bewachsenen Hügeln.
So sehr der Libanon mit landschaftlicher Schönheit gesegnet ist, so sehr missachten und treten seine Bewohner diese Schönheit mit Füßen. 10 Jahre nach dem Frieden von Taif geht der Krieg im Libanon weiter – nicht nur gegen die Okkupation im Süden, sondern auch gegen die Umwelt.
Grandiose Naturkulissen kontrastieren mit rücksichtsloser Landschaftsschändigung, mit Raubbau an der Natur; angeberisch ausgestellter Neureichtum wächst neben dem Elend und der Aussichtslosigkeit der Situation in den palästinensischen Flüchtlingslagern. Müll, fehlender öffentlicher Nahverkehr, teure Telefongebühren und die Abwesenheit jeglicher Absicherung vermitteln eine Ahnung davon, was es heißt, wenn sich der Staat aus der Verantwortung für gesellschaftliche Aufgaben stiehlt.
Am Morgen werden die Nachtschwärmer unsanft aus den Träumen geholt – man ist schließlich nicht in irgendeinem Ferienclub, sondern im arbeitgeberlich subventionierten Bildungsurlaub. Um 10 Uhr Besichtigungstermin im palästinensischen Flüchtlingslager, danach Treffen mit MitarbeiterInnen einer Kinderhilfsorganisation, Weiterfahrt nach Beirut, nachmittags Gespräch mit einem Parlamentsabgeordneten der Hisbollah, Weiterfahrt nach Jounieh, Gespräch mit einem Menschenrechtsaktivisten. Das Thema ist „Flucht und Asyl“, die Teilnehmenden sind durchweg in der Flüchtlingsarbeit tätig.
Immer wieder geht es in den Gesprächen um den Bürgerkrieg. Bemerkenswert, dass die meisten libanesischen GesprächspartnerInnen, auf die Jahre von 1975 bis 1989 angesprochen, das Wort „Krieg“ vermeiden und statt dessen von den sogenannten Geschehnissen (hawadith) sprechen. Selbst der ansonsten so offene griechisch-katholische Pater im Erlöserkloster Deir Mukhallis wählt den Ausdruck hawadith, als er uns über die Ermordung und Vertreibung von Priestern seines Klosters während des Krieges berichtet.
Neben der politischen Bildung und dem Anschauungsunterricht in Sachen Umweltschädigung stehen auch die schönen, touristischen Seiten des Libanon auf dem Programm: Die antiken Tempelruinen von Baalbek, die imposante Tropfsteinhöhle von Jeita, wo uns der libanesische Direktor in lupenreinem Deutsch begrüßt, das malerische Bergdorf Bscherreh mit seinen Sonnenuntergängen, Fahrten durch den Mont Liban. Während des neun- und fünftägigen Bildungsurlaubs kehrt die Gruppe fast täglich in das „Haus des Friedens“, im Schuf heim.
Gegründet wurde diese solitäre deutsch-libanesische Einrichtung in Wardaniyeh im Jahr 1995. Ursprünglich hatte Said Arnaout, ein Wahltübinger, der selbst aus dem Libanon stammt, ein Refugium für seine Eltern bauen wollen. Doch dann war der Bürgerkrieg schneller als erwartet beendet, die Eltern wollten doch lieber in Beirut bleiben. Was nun mit dem Bau und dem riesigen Grundstück? Said Arnaout und eine Handvoll arabischer und deutscher Freunde in Tübingen nahmen die Gelegenheit wahr, damit sich ein langgehegter Traum erfüllt: ein Tagungshaus im Libanon. Das südlibanesische Kriegsgebiet, wo die israelische Armee und die Hisbollah gegeneinander kämpfen, liegt nur eine knappe Autostunde von dem Dorf am Fuß des Schuf-Gebirges entfernt. Doch im idyllischen Wardaniyeh (die „Rosige“) ist es ruhig. Gefährdete Gebiete stünden nicht auf dem Programm, versichert Said Arnaout, und die TouristInnen lassen sich offenbar nicht abschrecken: In enger Kooperation mit Volkshochschulen und kirchlichen Bildungswerken, unter anderem mit der Evangelischen Akademie in Bad Boll, haben bereits 25 Bildungsreisen stattgefunden, mit Themen wie „Flucht und Asyl“, „Bildungssystem“ oder „Religionsgemeinschaften im Libanon“.
Von der steigenden Nachfrage nach Bildungsurlaub im Libanon profitierte auch die lokale Bevölkerung in Wardaniyeh, erklärt Said Arnaout. Mehrere halbe Arbeitsstellen seien durch die Einnahmen aus den Reisen bereits geschaffen worden; ein Mitarbeiter konnte sogar krankenversichert werden – im frühkapitalistisch wirtschaftenden Libanon ein großes Privileg. Neben den Bildungsreisen für ausländische Gäste finden im „Haus des Friedens“ auch Seminare für Libanesen statt, ausdrücklich für Christen und Muslime, Palästinenser und Libanesen – kein selbstverständliches Unterfangen im Libanon mit seinen religiösen und ethnischen Konflikten.
Am Morgen unserer Abreise genießen wir beim Frühstück von der Terrasse aus noch einmal den Blick aufs Mittelmeer. Noch einmal das köstliche arabische Fladenbrot, mit Weißkäse, Thymian und Olivenöl. Die stille, karstige Landschaft, die Sträucher und Agaven wirken ungeheuer friedlich unter dem makellos blauen Himmel. Irma und Latifa umarmen sich. Beim Blick auf Dar es-Salam vom Bus aus erste Gefühle von Heimweh. Nächstes Jahr in Wardaniyeh? Vielleicht, vielleicht nicht. Auf jeden Fall bleibt das Gefühl von ein klein bisschen Heimat im Libanon.
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