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Geschichte falsch gelaufen“

■  Ein Resümee der Treuhand-Nachfolgerin Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) mit deren Präsident Günter Himstedt und dem Verwaltungsratschef Manfred Schüler

ta*: Fühlen Sie sich als BvS-Chef eher als Totengräber der DDR-Wirtschaft oder als Krankenschwester, die auf der Intensivstation gerettet hat, was gerettet werden konnte?

Günter Himstedt: Ich bin sicher, dass man das Menschenmögliche getan hat – das, was wir an DDR-Wirtschaft vorgefunden haben, musste in eine funktionierende Volkswirtschaft integriert werden.

Ist die ostdeutsche Wirtschaft heute also auf gutem Weg?

Manfred Schüler: So einfach kann man das nicht sagen. Es kommt darauf an, welchen Maßstab Sie anlegen: Die Transformationsländer in Osteuropa? Dann eindeutig ja. Westdeutsche Standards? Dann wird man doch gewisse Mängel feststellen.

Allerdings: Das Wirtschaftswachstum im Osten ist seit drei Jahren niedriger als das im Westen. Vom Aufholen ist nichts mehr spürbar.

Manfred Schüler: Wir haben alle die Dauer und die Kosten der Einheit unterbewertet. Nur: Das sind Probleme, die nie die Treuhandanstalt lösen konnte. Wenn eine Gesellschaft vom Kopf auf die Füße gestellt wird, gibt es immer Gewinner und Verlierer. Und man muss auch die unterschiedliche Entwicklung sehen. Sachsen könnte sich vielleicht bald mit den westdeutschen Ländern vergleichen, die ja auch unterschiedlich stark sind, ebenso Thüringen. Wie die Leute in Ostdeutschland sich heute fühlen, hängt in erster Linie davon ab, ob sie eine Arbeitsstelle haben oder nicht. Aber das ist nicht mehr Sache der BvS.

Sie sehen Ihre Aufgabe, die Transformation, also als abgeschlossen?

Himstedt: Die großen Brocken – Buna/Leuna, Sket, die Werften ein weiteres Mal – sind alle weg. Und die kleineren auch. Somit ist die Privatisierung abgeschlossen. Wir haben noch Beteiligungen, aber auch da ist eigentlich alles klar. Die jeweiligen Investoren haben nach Ablauf der Restrukturierungsphase ein Optionsrecht auf unsere Anteile, und wir gehen davon aus, dass sie das auch wahrnehmen. Ansonsten geht es noch um die Vertragskontrolle, um die Auslegung der Privatisierungsverträge.

Und Sie müssen gar keine Unternehmen mehr unterbringen?

Himstedt: Wir haben noch 28 Beihilfenfälle in Brüssel angemeldet, bei denen noch das Okay fehlt.

Schüler: Wo Brüssel auch Nein sagen kann – und dies gelegentlich auch tut.

Wie beim Dieselmotorenwerk Rostock, das die Beihilfen wieder überweisen muss und deswegen nun in Konkurs ist.

Himstedt: Das ist ein bedrückendes Beispiel. Da konnten wir nach dem Vulkan-Desaster nicht wieder einen Investor finden. Es gibt keinen ausreichenden Markt für Großdieselmotoren.

An anderer Stelle gab sich die BvS gegenüber Brüssel nicht so schnell geschlagen. Beispielsweise bei den Gröditsser Stahlwerken: Das Unternehmen ging in Konkurs, aber eine eigens gegründete neue Gesellschaft übernahm und rettete Aufträge und Stellen.

Himstedt: Der deutsche Fiskus hatte viel Geld in die Sanierung investiert, das konnte man doch nicht verfallen lassen, bloß weil ein Antrag angeblich erst nach der Privatisierung durch die Treuhandanstalt gestellt wurde. Außerdem ist das Verfahren nicht ungewöhnlich. Es ist auch bei der bayerischen Maxhütte und der Saarstahl – in die ebenfalls hohe Beihilfen geflossen sind – angewandt worden.

Ab Januar sind nach europäischem Recht keine singulären Förderungen von Unternehmen in Ostdeutschland mehr möglich, auch Auffanglösungen wie bei den Gröditsser Stahlwerken sollen nicht mehr genehmigt werden. Folgt deshalb am Jahresende noch eine Konkurswelle?

Himstedt: Nein, ich gehe davon aus, dass wir die bei der EU anhängigen Fälle auch so durchbringen werden. Wir haben uns große Mühe bei der Vertragsformulierung gegeben.

Also ändert sich gar nichts durch die Neuregelung der EU-Beihilfenordnung?

Schüler: Der Aktionsspielraum für die Rettung eines Unternehmens wird geringer, wenn es nicht nur Kredite oder Bürgschaften braucht, sondern auch einen Verlustausgleich. Ab 2001 ist er dann gleich null.

Das regt Sie nicht auf?

Schüler: Es bedeutet, dass die ostdeutsche Wirtschaft noch stärker als heute den Regeln der Marktwirtschaft unterworfen ist, dass den Unternehmen, die den Weg bis heute nicht gefunden haben, nur noch schwer geholfen werden kann. Man kann natürlich darüber streiten, ob 10 Jahre für die Transformation genug sind oder ob man nicht vielleicht 12 oder 13 braucht. Aber diese Entscheidung hat die EU-Kommission getroffen. Im Übrigen darf man sich beim Thema Neue Bundesländer nicht ausschließlich auf die Dinge beschränken, die Treuhandanstalt und BvS leisten konnten und geleistet haben. Die Epoche, wo man hier Industriepolitik machen konnte, wo Investitionen durch politische Entscheidungen ausgelöst wurden, ist vorbei.

Und wie soll dann der Aufbau Ost weitergehen?

Schüler: Die beste Politik wäre ein Anspringen der Konjunktur. Das ist Sache der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Und das bedeutet für mich: Steuern runter.

Solange das West-Ost-Gefälle nicht geringer wird, profitieren davon in erster Linie Betriebe und Besserverdienende im Westen.

Schüler: Es gibt doch auch eine Menge Programme nur für den Osten, Infrastrukturprogramme, Kreditprogramme wie das Wohnungsmodernisierungsprogramm, das sehr viel Beschäftigung für das örtliche Handwerk bringt, Innovationsprogramme und Beteiligungskapital. Gründerprogramme. Das Problem ist vielleicht die Vielfalt, bei der der Überblick schwer fällt. Das sollte man vereinfachen.

Die westdeutsche Wirtschaft hat sich seit 40 Jahren immer wieder am Export aufgerichtet, gerade da hat der Osten ein großes Manko.

Himstedt: Da ist die Geschichte falsch gelaufen. Die Treuhand wollte sich ja über die Investoren auch die Märkte einkaufen – eigentlich war die ostdeutsche Industrie ja auf Osteuropa ausgerichtet. Nur brachen diese Märkte ein – man konnte wohl hinliefern, aber es kam nie Geld. Dann wollte man auf die Westmärkte, aber die waren erobert. So konnte man den Investoren im Sinne der Privatisierung nur sagen: Ihr müsst den Markteinstieg finden.

Schüler: Ich sehe wenig Möglichkeiten, wie man das ändern könnte. Der Bund könnte besondere Deckungshilfe für ostdeutsche Lieferanten geben, als Hermesbürgschaften beispielsweise. Aber da ist nicht nur die EU davor, sondern auch die OECD.

Ostprodukte konnten sich doch nicht einmal in großem Maßstab auf den „heimischen“ westdeutschen Märkten etablieren.

Schüler: Da hätte die öffentliche Hand allerdings besser reagieren können. Aber das Bewusstsein dafür ist in den westdeutschen Ämtern nicht genügend entwickelt worden. Die Beamten machen seit 1.000 Jahren das gleiche. Das hätte als Anschub besser funktionieren können. Und im privaten Bereich – die großen Supermarktketten listen die Waren nicht, weil sie Sicherheit brauchen, was Menge, Qualität und Pünktlichkeit betrifft. Offenbar gibt es da noch Vorbehalte. Und manchmal sehen die Produkte auch etwas hausbacken aus. Man meint dann, das wären noch Restbestände aus der DDR.

Himstedt: Die Treuhand hatte in ihren ersten Privatisierungsverträgen noch Klauseln, in denen stand, dass Handwerker und Lieferungen aus dem Umland stammen sollen. Das mussten wir aber auf EU-Weisung streichen.

Also hat die EU-Kommission Ihre Arbeit behindert?

Schüler: Sie hat sie auf jeden Fall nicht einfacher gemacht.

Jahrelang war aber die Treuhand das Schreckgespenst für viele Ostdeutsche. Etliche Manager und vor allem so genannte Berater haben in die eigene Tasche gewirtschaftet und die Unternehmen kaputtgehen lassen.

Himstedt: In Windeseile so viel Personal aufbauen, das war sehr schwierig. Und man musste doch dieser geballten Expertenkraft der potentiellen Investoren etwas entgegenstellen. Da musste Insiderwissen her. Also nahm man, was disponibel war. Das waren Berater.

Schüler: Und bei solch einem Umbruch passiert es natürlich schnell, dass sich jemand darunter mischt, der nicht dort hingehört.

Aber es hieß auch, die Transformationspolitik sei falsch gewesen – schneller, langsamer, teurer, billiger und an die Richtigen hätte privatisiert werden müssen. Würden Sie aus heutiger Sicht alles noch mal so machen?

Schüler: Man hätte anders Geldmittel für die Einheit finden können. Damals waren doch alle offen für Opfer. Man hätte das mit dem Wechselkurs anders handhaben können. Da mussten im Schnitt keine 1,8 Ost- für eine Westmark rauskommen. Oder mit den steuerlichen Maßnahmen. Aber das war kein Fehler der Treuhandanstalt. Und ich bin sicher, dass deren Arbeit bei einem neuen Anlauf nicht völlig anders laufen würde.

Himstedt: Die Lernkurve bei der Treuhandanstalt war schon steil, ein Vorbild gab es ja nicht. Wir mussten im selben Moment sowohl gestalterisch als auch pragmatisch arbeiten.Wir konnten nicht sagen, wir machen eine Pause und denken mal drei Monate nach.

Interview: Beate Willms, rem

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