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Bumsen für Britannien    ■ Von Ralf Sotscheck

Der Mann würde alles für seine Wiederwahl tun. Nun hat er sogar seine Frau wahlkampfträchtig geschwängert. Er sei „völlig perplex“ gewesen, als Cherie ihm am Abend vor dem Labour-Parteitag im Oktober eröffnete, dass sie mit dem vierten Blair-Kind schwanger sei, log der britische Premierminister Tony Blair vorige Woche – das erste Downing-Street-Kind seit 150 Jahren.

Eine ungeplante Schwangerschaft? Wer's glaubt, wird selig. Bei New Labour ist alles sorgfältig choreografiert, auch die Fortpflanzung des Premierministers – und der Zeitpunkt, zu dem das Stimmvieh darüber informiert wurde. Labour hatte sich vorige Woche bei dem Affentheater um die Kandidatur des Blair-Feindes Ken Livingstone für das Londoner Bürgermeisteramt furchtbar blamiert, doch das ging flugs im Jubel über das Blair-Balg unter. Die Schwangerschaft ist so geschickt terminiert, dass sie dem „roten Ken“ ein zweites Mal die Schau stehlen wird: Der Geburtstermin ist im Mai, wenn auch die Bürgermeisterwahlen stattfinden.

Bis dahin werden die Briten bis zum Erbrechen mit Neuigkeiten aus dem Bauch der First Lady gefüttert. Zur Zeit erbricht sich aber nur Cherie jeden Morgen, was nicht unbedingt an der Schwangerschaft liegen muss: Wenn man stets mit einem Vertraut-mir-ich-bin-euer-Premierminister-Grinsen geweckt wird, kann das zu allergischen Reaktionen führen.

Die Zeitungen überschlagen sich mit Details über die Empfängnis: Im Sommerurlaub in der Toskana haben sie es getrieben, hieß es zunächst in der Sun. Tags drauf korrigierte das Blatt: Nein, im ersten Stock in der Downing Street ist es geschehen. Gott sei Dank – der Fötus ist rein britisch. Die Daily Mail hält die Schwangerschaft gar für „irgendwie ein Wunder“, und selbst der Guardian schwadroniert völlig durchgeknallt: „Wie ihre Vorgängerin vor 2.000 Jahren, so sendet uns vielleicht auch diese Geburt relevante Botschaften in sozial unsicheren Zeiten.“

Blairs „Spin Doctor“ Alistair Campbell, der allen Nachrichten einen regierungsfreundlichen Dreh geben soll, spielt seit voriger Woche mit sich selbst, denn er hat nichts anderes mehr zu tun: Das Blair-Baby ist ein Selbstläufer und wird es auf unabsehbare Zeit bleiben. Finanzloch im Gesundheitswesen? Die ersten Herztöne des Babys sind zu hören. Kürzungen im Bildungshaushalt? Der Fötus strampelt kräftig. Sogar globale Krisen können gemeistert werden – mit Hilfe von Schwangerschaftskomplikationen: Steißlage, o weh! Da kann Tony in Ruhe fremde Länder bombardieren, die Nation wird sich derweil um seinen Nachfahren sorgen. Wetten kann man auch schon: auf das Geschlecht, den künftigen Beruf (Labour-Abgeordneter? Fußballer bei Newcastle United, Papas Lieblings-Team?) und den Namen des Kindes, das nicht „Ken“ heißen wird.

Nach der Geburt, das ist durchgesickert, wird dem Kind mit Hilfe von Plastikchirurgie das väterliche Grinsen verpasst, damit beide stimmenfängerisch von den Titelblättern der Gazetten glotzen können. Die Sun hat schon mal probehalber ein paar Fotomontagen mit den Blairs samt neuem Baby abgedruckt. Dazwischen, etwas unglücklich platziert, eine Werbeanzeige für den Film „Carrie 2“ mit der Überschrift: „In dieser Familie herrscht der Terror!“

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