Gegen die „Festung Deutschland“

Großbritannien verfolgt mit Unverständnis die deutschen Wallungen angesichts des Mannesmann-Übernahmeversuchs durch Vodafone  ■   Aus London Dominic Johnson

Die Übernahmeschlacht Vodafone gegen Mannesmann hat scheinbar alles, was zu einem Krieg der Wirtschaftskulturen gehört. Auf der einen Seite eine junge, wendige Firma mit hochfliegenden globalen Ambitionen – auf der anderen Seite ein alteingesessenes Unternehmen mit solider nationaler Verankerung. Dass der Anschein nicht so richtig stimmt, stört die Betreiber einer britisch-deutschen Schlammschlacht überhaupt nicht. Einigen Äußerungen zufolge geht es um nicht weniger als die Frage, ob der angelsächsische oder der rheinländische Kapitalismus siegt.

Nationalistische Argumente spielen dabei in Großbritannien eine kleinere Rolle als in Deutschland. Dass die britische Vodafone aufgrund ihres Übernahmeversuchs für die deutsche Mannesmann als „der Feind“ gilt, gegen den Arbeiter demonstrieren und sogar Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Bild-Zeitung Stellung beziehen, wird in London mit Unverständnis verfolgt. Schließlich ist es nur so weit gekommen, weil Mannesmann im Oktober angekündigt hatte, den britischen Konkurrenten Orange zu erwerben. Wenn der britische Telekomsektor den Deutschen offensteht – wieso nicht umgekehrt?

Als Paradox wird empfunden, dass die Briten ihre Wirtschaft viel weiter gegenüber ihren europäischen Partnern geöffnet haben als umgekehrt. So sind französische Firmen an der privatisierten Wasser- und Stromversorgung in Großbritannien beteiligt – aber Frankreich öffnet seinen Strommarkt nicht, trotz EU-Richtlinien. Nun sieht sich Großbritannien mit einer ähnlichen Haltung seitens der „Festung Deutschland“ (Sunday Times) konfrontiert. Besonders bitter ist, dass Gerhard Schröder letzte Woche sagte, gegen Übernahmen deutscher Firmen aus Frankreich habe er weniger als gegen solche aus Großbritannien und dass Mannesmann eventuell mit der französischen Vivendi zusammengehen will, um Vodafone abzuwehren.

Der Übernahmestreit, so die Prognose, könnte zu einem „Fanal für Euroskeptiker“ werden. Die argumentieren, dass die EU ein protektionistischer Verein für kontinentale Weicheier sei, die Angst vor den scharfen Winden der Globalisierung hätten. Die Stimmung ist extrem gereizt. Als Mannesmann letzte Woche in London vor Gericht zog, um der US-Investmentbank Goldman Sachs ihre Beratertätigkeit für Vodafone wegen angeblicher Interessenkonflikte zu verbieten, gab es eine selten deutliche Abfuhr. Richter Lightman nannte Mannesmanns Beweismaterial „völlig falsch“ und die Klage „schändlich und unannehmbar“.

Von London aus gesehen, ist die angeblich entstehende deutsch-französische Achse gegen die Aufkäufer hinter dem Kanal verkrampft und überholt. Denn auf dem Finanzplatz London – dem zweitwichtigsten der Welt – ist es inzwischen nicht nur egal, welcher Nationalität eine Firma ist; man kann es inzwischen oft gar nicht mehr feststellen. Gerade Mannesmanns Übernahme von Orange illustriert dies: Die britische Firma gehört zu 44 Prozent einem Hongkonger Chinesen, Li Ka-Shing. Wenn er tatsächlich an Mannesmann verkauft und im Gegenzug Teilhaber an Mannesmann wird, wie vereinbart, sind nach Londoner Berechnungen 70 Prozent aller Mannesmann-Aktien nicht mehr in deutschen Händen. Und Vodafone hofft auf Li Ka-Shings Unterstützung, um für das eigene Mannesmann-Übernahmeangebot eine Mehrheit unter den Aktionären zu bekommen.

„Halt dich raus, Schröder: dies ist Business“, lautete gestern die Schlagzeile eines Wirtschaftskommentars. Vodafone-Chef Chris Gent, einstiger Chef der Jungen Konservativen und heute ein Unterstützer Tony Blairs, grenzt sich jedoch ab gegen Mutmaßungen, er sei der Ritter, der den Thatcherismus über den Kanal trägt. Er weiß, dass er mit einer solchen Haltung nicht weit käme. „Ich will nicht der Held sein, der Deutschlands Kapitalmärkte öffnet“, sagte er am Wochenende in einem Interview. „Ich will nur einen potentiellen europäischen Marktführer aufbauen.“

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