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Jeder kennt jeden

Kein Pop, nicht hip: Thorsten Krämer liest heute im Mojo- Club aus „Neue Musik aus Japan“  ■ Von Meike Fries

Thorsten Krämer ist 27 Jahre alt, und gerade hat er sein Buch Neue Musik aus Japan bei Kiepenheuer und Witsch veröffentlicht. Schon wieder so ein Popautor? Nein. Thorsten Krämer schreibt anders, und seine Biografie ist außergewöhnlich normal: Seit vier Jahren verheiratet, Vater und studiert hat er auch: japanische Linguistik, Phonetik und Ethnologie. Er wohnt in Köln, der Medienstadt, an die niemand denkt. Außerdem hat er den NRW-Förderpreis für Literatur und das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium seiner Stadt eingeheimst.

Neue Musik aus Japan ist sein erster Roman, aber nicht seine erste Veröffentlichung. Im letzten Jahr kam bei einem kleinen Kölner Verlag sein Buch Ich heiße Hal Hartley heraus. Darin erzählt er Filme von Godard, Hal Hartley und Takeshi Kitano nach und setzt sie neu zusammen. Im selben Jahr erschien bei Emons ein Band mit Erzählungen: Fast schon ein Glück. In Neue Musik aus Japan erzählt Krämer episodenhaft Geschichten, deren Personen alle irgendwie miteinander verwoben sind. Jedes Kapitel ist mit einem japanischen Song-Titel überschrieben. Klingt hip, das Prinzip ist bekannt, doch eigentlich ist das nicht so wichtig. (Krämer hat schlicht ein Faible für Fernost.) Und eins will er bestimmt nicht sein: hip.

Sein Buch lässt sich lesen, wie man eine CD anhören kann: nach dem Zufallsprinzip. Das lobten die Kritiker, aber das ist ebenfalls nicht das Entscheidende. Man kann es eben auch einfach so lesen. Dann begegnet man nämlich im siebten oder achten Kapitel jenen Menschen, die man in den ersten Kapiteln in anderen Zusammenhängen schon kennen gelernt hat. Nach einigen Jahren trifft Idil Sven wieder, dem sie einmal in Köln über den Weg gelaufen ist und dessen Telefonnummer sie verlor. Sven liegt im Krankenhaus auf dem gleichen Zimmer wie Idils Freund Bernhard, und der interessiert sich genau wie Krämer selbst für die Theorie, dass jeder jeden um sechs Ecken kennt.

Das Wichtigste ist, dass Krämer nicht über sich selbst schreibt. Er erzählt erfundene Geschichten über andere, und er schreibt jenseits vom Club. Seine Figuren können einem durchaus auch fremd vorkommen. Irgendwie geht es ständig um Leute, die heiraten oder schon geheiratet haben, die sich das Du anbieten und Tanzkurse belegen, weil der Job es erfordert. Es geht um Uni-Assistenten und um Weinköniginnen und um junge Ehepaare, die bei Tombolas eine Reise nach Prag gewinnen – also um Alltägliches, auch wenn Krämer behauptet, es gebe keinen Alltag.

Doch geht es auch um Selbstmordkandidaten, die gerade noch gerettet werden, oder um Flüchtlinge, die mit ihrem Seesack im Hamburger Freihafen durch ein Loch im Zaun steigen. Dann sind wir plötzlich wieder in Japan, wo Haruki sich als Kind im Fernsehen ein Fußballspiel ansieht, zusammen mit einigen Deutschen, aus Begeisterung für die deutsche Mannschaft. Später treffen wir ihn wieder, mittlerweile lebt er in Deutschland (als DJ in Hamburg; na gut, okay).

Alles ist schlüssig, und letztendlich bleibt alles unaufregend. Das liegt vor allem an Krämers Art zu schreiben. Die ist uneitel, unprätentiös. Jeder der wenigen Anglizismen ist ein Fremdkörper, es gibt keine Coolness, keine Ironie – das unterscheidet Krämer wohltuend von den anderen jungen Autoren, deren Bücher sein Verlag ansonsten so auf den Markt wirft. Krämers Sprache ist altmodisch und damit wiederum neu, aber auch sehr anstrengend. Seine Sprache erinnert an Schulaufsätze, deren Verfasser sich um Ernsthaftigkeit bemühen und gerne bereits erwachsen wären. Sätze wie: „Nirgendwo, das hatte er inzwischen herausgefunden, konnte er so gut ausspannen wie bei diesem jungen Ehepaar“ sind gewöhnungsbedürftig. Bis man sich an sie gewöhnt hat, ist man allerdings schon auf den letzten Seiten angelangt, und das ist eigentlich schade.

heute, 21 Uhr, Mojo-Club; Thorsten Krämer: „Neue Musik aus Japan“. Roman, Kiepenheuer und Witsch, Köln 1999, 173 Seiten, 18,90 Mark

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