Allseitig in der Kritik

■ Ostlehrer wehren sich – und fordern mehr Stellen für Sozialarbeit an Schulen

Berlin (taz) – Ihr Ruf ist nicht der beste: Ein Drittel der Pädagogen Sachsens seien „rückwärtsgewandte Nostalgiker“, hat Sachsens Kultusminister Matthias Rößler (CDU) behauptet: „Die lassen sich jedenfalls für die offene Gesellschaft nicht gewinnen.“ Die autoritären Ostlehrer, so lautet der Pauschalvorwurf, sehnen sich zurück zur „allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit“ der DDR-Schule. Margot Honeckers Betriebskampfgruppe habe nichts dazugelernt.

Die gescholtenen Lehrer geben die Vorwürfe gerne an den Kultusminister zurück. „Was Rößler an Diskussionskultur bietet, ist unmöglich“, meint etwa Jürgen Thamm, Lehrer an einer Mittelschule in Hoyerswerda. Der Minister ignoriere bei seiner „Diffamierungskampagne“, dass die meisten Lehrer „gnadenlos überfordert“ seien. Thamm ist Beispiel dafür, dass es trotzdem anders geht. Seit Jahren bemüht er sich um Gewaltprävention – mitten im Wohnkomplex 9, wo 1991 Vietnamesen über die Straßen gehetzt wurden. Heute gibt es an der Schule neben einem Fitnessraum einen Jugendclub und ein eigenes Schülerreisebüro. Obwohl das Projekt Erfolg hat, kränkelt es an mangelnder ministerieller Unterstützung. Es muss endlich mehr Geld für Sozialarbeit an den Schulen her, fordert Thamm. „Die ABM-Kräfte wechseln jedes Jahr. Wie sollen die Schüler da Vertrauen entwickeln?“

Auch Sachsens GEW sieht im Kultusminister den Schuldigen: Sowohl kleinere Klassen wie auch die Finanzierung von mehr schulischen Angeboten außerhalb des Unterrichts habe die Gewerkschaft seit langem gefordert – geschehen sei nichts. Die GEW-Landeskonferenz erneuerte am Wochenende in Leipzig ultimativ ihre Ansprüche. Sonst könnten die Schulen ihrer „weit über den Unterricht hinaus gehenden Rolle“ nicht gerecht werden. Sachsens GEW-Vorsitzende Sabine Gerold will gar nicht verhehlen, dass sich die Lehrer schwer tun, über ihre Situation zu sprechen. Schließlich hätten sie seit der Wende „besonders in der Kritik“ gestanden.

Aber auch mit den Schülern kommen sie nicht ins Gespräch. Vielleicht sei es ein Fehler gewesen, sagt Thamm, dass die Meißener Lehrer schon zwei Tage nach dem Mord auf Normalprogramm umgeschaltet hätten. Aber auch er hat das Thema mit seinen Schülern nicht besprochen. Und das ist kein Einzelfall. Die GEW selbst hat bei Elternbefragung herausgefunden: In den sächsischen Schulen kommt das Einüben sozialer Verhaltensweisen und demokratischer Lebensformen zu kurz. Genau das gehört aber zum Bildungsauftrag der Lehrer. Ole Schulz