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Chronik der Gleichgültigkeit„Wir dürfen das“

■ Maßstab Ausnüchterungszelle: Neuer Abschiebeknast setzt Zeichen

Kaum gebaut, ist der Bremer Abschiebeknast vor allem eins: Symbol dafür, dass im Umgang mit ausreisepflichtigen Ausländern Menschlichkeit wenig zählt. Denn vor allem darauf zielten die bisherigen Einwände von Menschenrechtsgruppen, Rechts- und Gesundheitsexperten gegen den Neubau ab. Doch viele Stellungnahmen bezüglich der vielfach als „menschenunwürdig“ kritisierten Ausstattung der vollklimatisierten, gekachelten Etage ohne Fenster in den Zellen haben die Behörden bislang nicht einmal beantwortet. Die Parlamentarier von SPD, CDU und Grünen im Ausländerausschuss schafften es erst vergangenen Freitag den Neubau gemeinsam zu besichtigen. Aber schon heute ziehen zwölf Abschiebehäftlinge vom provisorischen Polizeigewahrsam in der Oslebshauser Justizvollzugsanstalt um in den neuen Abschiebetrakt am Polizeipräsidium in der Vahr. Markenzeichen des Neubaus: Die weißen Kacheln bis unter die Zellendecken und blickdichte Glasbausteine statt Fenster. Die taz erstellte im Folgenden eine Chronik der Verweigerung gegenüber früheren „Empfehlungen“ und Forderungen.

3. Juli: Die Bremer Grünen fordern nach einer ersten Besichtigung des neuen Hafttraktes „Kein Umzug ohne Nachbesserung“. Der innenpolitische Sprecher Matthias Güldner: „Das erinnert an Opas Psychiatrie“.

Zugleich: Polizeibeamte äußern sich gegenüber der taz kritisch über „unwohnliche Kacheln“, Glasbausteine und das im Panikfall gefährliche Aneinanderschlagen gegenüberliegender Zellentüren. Auch sei ein Aufenthalsplatz für Wachpersonal im Abschiebetrakt auf der ersten Etage des Polizeigewahrsams (PGW) nicht vorgesehen. Der Leiter des PGW erwägt deshalb, für Diensthabende einen Stuhl neben die Küche zu stellen. So könne der Kontakt zu Gefangenen erhalten bleiben. Ansonsten werden die Insassen über Video beobachtet und mit Polizeibeamten einen Stock tiefer über Gegensprechanlagen kommunizieren können.

10. Juli: Polizei und Innenbehörde verteidigen den Neubau. Man habe sich bei der Planung an „Richtlinien aus Nordrhein-Westfalen“ orientiert. Allerdings erfährt die taz in Nordrhein-Westfalen, dass es für den Bau von Abschiebehaftanstalten keine Richtlinien gibt. Stattdessen orientiert man sich in NRW beim Bau von Abschiebehaftanstalten an den Richtlinien für den Justizvollzug. Die Bremer Justizbehörde war dagegen bei den Planungen des neuen Abschiebetraktes nicht konsultiert worden. In Nordrhein-Westfalen bestätigt der stellvertretende Leiter der umstrittenen Abschiebehaftanstalt Büren. Zellen ohne Fenster seien für ihn nicht denkbar. „Wir bemühen uns um humanen Vollzug.“

14. Juli: Die Bremer Innenbehörde klärt offiziell, dass die Bremer Abschiebehaft doch nach Richtlinien aus Nordrhein-Westfalen gebaut wurde. „Mir liegt ein zwölfseitiger Runderlaß zum Bau von Polizeigewahrsamen von 1993 vor“, so der Behördensprecher des Innenressorts, Hartmut Spiesecke. Er betont: „Wir dürfen das.“

16. August: Es wird bekannt, dass Sozialsenatorin Hilde Adolf in einem internen Schreiben an die Innenbehörde auf Nachbesserungen in der Abschiebehaft gedrungen hat. Begründung: „Die Beibehaltung der derzeitigen Bauausführung zu einem langandauernden Konflikt mit initiativen, Anwälten und Medien führen wird.“ Auch die Bremer Gesundheitsbehörde hat in der Zwischenzeit Bedenken geäußert. Sie bemängelt fehlenden Sichtschutz vor allen Zellen-Toiletten – auch bei Doppelzellen. Zugleich mahnt die Behörde, in Hinsicht auf Eigen- und Fremdgefährdung, „dass im Abschiebegewahrsam keine Präsenz von Aufsichtspersonal vorgesehen ist.“ Grundsätzlich heißt es, dass die Ausgestaltung der Zellen nach Maßgabe eines Polizeigewahrsams „in einigen Punkten nicht den Anforderungen an eine adäquate Unterbringung über einen längeren Zeitraum“ entspreche.

22. September: Die Redner von rot-grün zeigen sich bei einer Bürgerschaftsdebatte einig, dass der neue rundumverkachelte Abschiebeknast in der Vahr architektonisch nachgebessert werden muss. CDU-Vertreter Rolf Herderhorst will allerdings aus dem Abschiebeknast „kein Übergangshotel“ machen. Das Thema wird an die Innendeputation verwiesen.

25. September: Sozialsenatorin Hilde Adolf besucht den Neubau. Hinterher heißt es „Frau Adolf will derzeit keine Bewertung der Situation in den Zellen vornehmen.“

Oktober: Der stellvertretende Leiter im Polizeigewahrsam wirbt in einem Artikel im „Polizei Forum Bremen“, für seine „Diensstelle, die mit viel Vorurteilen und Kritik leben muss“. Er schreibt: „Viele Außenstehende haben die Vorstellung, dass die „Abschieber“ in die Zellen eingesperrt sind und die Arbeit damit getan ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Aufgrund der langen Verweildauer (bis zu sechs Monate, in Einzelfällen noch länger) und der Art der Haft wird von den Mitarbeitern ein viel höheres Maß an Engagement, psychologischem Einfühlungsvermögen und Improvisationstalent erwartet. Abschiebehaft ist keine Strafhaft sondern dient nur zur Vorbereitung der Abschiebung und zur Verhinderung des Untertauchens. (...) Durch die zum Teil lange Haftzeit und die bevorstehende Abschiebung entstehen auch Probleme psychischer Art, die sich durch Wesensveränderung bis hin zum Suizid bemerkbar machen können. Die Bediensteten müssen diese Probleme erkennen.“

27. Oktober: Der bremische Anwaltsverein wendet sich an Polizeipräsident Rolf Lüken. Er mahnt Veränderungen an – sollte dies nicht wahr werden, werde man den Mandanten empfehlen, gegen die „menschenunwürdige Unterbringung“ zu klagen.

4. November: Durch das Ausbleiben eines Sozialbetreuers in Abschiebehaft Oslebshausen wird deutlich, dass die befristete Stelle des Mannes ersatzlos ausgelaufen ist. Soziales und Inneres streiten darüber, wer die Kosten für eine solche Leistung tragen muss. Der bisherige Mitarbeiter erklärt sich bereit, den Job zweimal wöchentlich ehrenamtlich fortzuführen.

8. November: Der Bremer Rechtswissenschaftler Johannes Feest moniert bei der Innenbehörde, dass seine früheren Anfragen zur Abschiebehaft von Inneres nicht beantwortet wurden. Dabei ging es auch um die Rechtsgrundlage. Feest weist darauf hin, dass für Bundesländer wie Bremen, in denen der Vollzug in Abschiebehaft nicht gesetzlich geregelt ist, „über die Freiheitsentziehung hinausgehende Grundrechtseingriffe unzulässig sind.“

15. November: Feest wendet sich an Bürgermeister Scherf. „Die Haftbedingungen in der neuen Anstalt liegen deutlich unterhalb der Standards, die für neu eingerichtete Justizvollzugsanstalten akzeptabel wären. Maßstab sind offenbar die Ausnüchterungszellen der Polizei. Er fordert eine Intervention des Bürgermeisters.

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