: Nächtens auf der Stelle treten
■ Bei den Koalitionsgesprächen verlieren sich CDU und SPD in Nebensächlichkeiten. Ein CDU-Politiker sprach von einer „unorthodoxen Verhandlungsführung“. Ein Ende ist noch nicht abzusehen
Die Koalitionsverhandlungen gestalten sich zäher als erwartet. In der Nacht zu Freitag wollten CDU und SPD erneut über die noch strittigen Fragen der Inneren Sicherheit und der Schulpolitik verhandeln. Auch über die Finanzpolitik und die Verteilung der Senatsressorts mußte noch Einvernehmen erzielt werden. Beide Seiten waren gestern skeptisch, ob in einer weiteren nächtlichen Sitzung ein Durchbruch erzielt werden könne. Möglicherweise müsse heute tagsüber weiterverhandelt werden. Ein SPD-Politiker argwöhnte gestern: „Die CDU verzögert die Verhandlungen ganz bewußt, um sich dann wegen Zeitmangels um das Thema Finanzen zu drücken.“
Dass sich die Verhandlungen hinziehen, liegt aber nicht nur daran, dass in der Innen- und der Schulpolitik recht unvereinbare Positionen bestehen. Die Koalitionspartner verlieren sich auch zu sehr in Details und nebensächlichen Fragen. Beispielsweise wurde die längst beschlossene Bebauung des früheren AFN-Antennenfeldes in Zehlendorf erneut aufgerollt, weil die Zehlendorfer CDU das Gelände lieber für den Ausbau des Museumsgutshof Domäne Dahlem zur Verfügung stellen will. Vor lauter Streit um hochsymbolische Themen, kommen die zentralen stadtpolitischen Fragen zu kurz. Der Dauerbrenner des Stadtschlosses mitsamt historischer Fassade wurde erneut diskutiert, ohne allerdings zu neuen Ergebnissen zu kommen. Zu den symbolischen Streitpunkten zählte auch das Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma. Die CDU sperrt sich gegen ein weiteres Mahnmal in der Innenstadt, das die SPD befürwortet.
Als wenig sinnvoll hat sich die Größe der 24-köpfigen Verhandlungsdelegation erwiesen. Vor allem die SPD hatte auf eine große Verhandlungsrunde gedrängt, um so viele Genossen wie möglich einzubinden. Je mehr an den Verhandlungen beteiligt sind, desto leichter kann die Parteiführung auf einem Parteitag eine Mehrheit für die Fortsetzung der Großen Koalition erzielen. Der Nachteil: In einer so großen Runde läßt sich kaum eine sinnvolle Diskussion führen, schon gar nicht wenn es um fachpolitische Details geht. So diskutierten meist nur einige wenige mit den hinzugeladenen Fachpolitikern. „Der größte Teil der Runde schaut an die Decke und hofft, dass es bald vorbei ist“, beschreibt ein Teilnehmer den Sitzungsverlauf.
In der Schlußphase der Verhandlungen werden knifflige Fragen häufig in der so genannten „Kleingruppe“ besprochen, so auch in der Nacht zu Donnerstag die strittige Innenpolitik. Der „Kleingruppe“ gehören auf CDU-Seite Parteichef Eberhard Diepgen, Generalsekretär Volker Liepelt und Fraktionschef Klaus Landowsky an. Für die SPD sind Parteichef Peter Strieder, Fraktionschef Klaus Böger und der Köpenicker Bürgermeister Klaus Ulbricht dabei.
Doch auch hier konnten die harten Nüsse nicht geknackt werden. Bei der Videoüberwachung gab es zumindest etwas Bewegung. Die SPD kann sich vorstellen, dass gefährdete Objekte wie das Holocaust-Mahnmal oder jüdische Friedhöfe per Video überwacht werden. Doch die von der CDU geforderte Videoüberwachung öffentlicher Plätze lehnt die SPD ab.
CDU-Politiker sprachen gestern von einer „sehr unorthodoxen Verhandlungsführung“. Erst werde ein strittiges Thema aufgegriffen, und wenn die Gespräche festgefahren seien, wende man sich einem Thema aus einem ganz anderen Ressort zu.
Es wird um Worte und Halbsätze gefeilscht. Dabei wissen alle: entscheidend ist letztlich nicht, was in der Koalitionsvereinbarung steht. Auf die Umsetzung kommt es an, also welche Partei welches Senatsressort übernimmt. Auch dies war gestern noch offen. Dorothee Winden
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