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Der Fall Öcalan geht nach Straßburg

■  Türkisches Berufungsgericht lehnt Einspruch gegen Todesurteil ab. Die türkische Staatsführung schiebt die Vollstreckung auf. Verhandlung über den Öcalan-Prozess vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof

Berlin (taz) – Das oberste türkische Berufungsgericht hat am gestrigen Donnerstag den Einspruch des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan gegen das gegen ihn verhängte Todesurteil zurückgewiesen. Eine Vollstreckung des Urteils bedarf der Zustimmung des Parlaments und des türkischen Staatspräsidenten. Zuvor wird die Prozessführung Gegenstand eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg sein.

Öcalans Anwälte hatten zwei Gründe für die Aufhebung des Urteils und die Neueröffnung des Verfahrens geltend gemacht. Zum einen sei die Verschleppung Öcalans aus Kenia durch den türkischen Geheimdienst illegal gewesen, zum anderen sei ihrem Mandanten während des Prozesses nicht ausreichend Zugang zu juristischer Beratung gewährt worden.

Bereits im Februar hatten die Anwälte Öcalans Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. Dort wird außer den genannten rechtlichen Einwänden vor allem der Ablauf des Prozesses auf der Gefängnisinsel Imrali Gegenstand der Verhandlung sein. Gegen die Verhängung der Todesstrafe können die Anwälte nicht direkt vorgehen. Diese ist nämlich nicht in der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern in einem Zusatzprotokoll verboten, das die Türkei nicht unterzeichnet hat. Käme Straßburg allerdings zu dem Ergebnis, dass auf Imrali kein fairer Prozess möglich war, wäre damit auch die verhängte Todesstrafe hinfällig.

Ob Öcalan in Straßburg Chancen auf ein für ihn positives Urteil hat, ist schwer zu beurteilen. Auch internationale Beobachter waren sich in ihrer Einschätzung des türkischen Strafverfahrens nicht einig. So hatte eine Delegation des Europarats erklärt, das Verfahren sei im Wesentlichen rechtmäßig verlaufen, auch wenn keine echte Chancengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung bestand. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, kritisierte dagegen eine Verletzung internationaler Standards. Öcalans Kontakt mit Anwälten sei begrenzt gewesen, und die Anwälte seien bedroht worden. Vermutlich wird der Gerichtshof eigene Recherchen vornehmen.

Das Straßburger Verfahren macht allerdings nur Sinn, wenn Öcalan nicht vorher hingerichtet wird. Seine Anwälte haben deshalb bereits kurz nach Verhängung der Todesstrafe beantragt, dass der EGMR die Exekution mit einer einstweiligen Anordnung verhindern soll. Über diesen Antrag wird der Gerichtshof voraussichtlich am kommenden Dienstag beraten.

Schon einmal hatte Straßburg im Fall Öcalan interveniert. Am 4. März war die türkische Regierung ausdrücklich aufgefordert worden, ein faires Verfahren sicherzustellen. Daraufhin waren in der Türkei kurzfristig die gesetzlichen Bestimmungen geändert worden. Den umstrittenen Staatssicherheitsgerichten durften fortan keine Militärrichter mehr angehören.

Wie von der Europäischen Union erwartet, ist die Türkei bereit, die Hinrichtung Öcalans aufzuschieben. Sowohl Staatschef Demirel als auch Ministerpräsident Ecevit erklärten am Donnerstag, man werde die Entscheidung des Gerichts in Straßburg abwarten. Unter den türkischen Parlamentariern könnte die Vollstreckung des Todesurteils nach Meinung von Beobachtern derzeit eine Mehrheit finden. Allerdings gibt es für die Befassung des Parlaments mit dem Fall Öcalan keine zeitliche Vorgabe. Christian Rath

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