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■ Bundeskanzler Schröder rettet uns vor Pleiten und den BritenDer Mann der Urinstinkte

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist kein Liberaler. Zutiefst misstraut er dem freien Spiel der Marktkräfte. Mit dem britischen Premier Tony Blair oder dem US-Präsidenten Bill Clinton mag er noch so schöne Konzepte einer flexiblen Wirtschaft entwickeln – von Zeit zu Zeit wirft des Kanzlers Angst vor den Wirrungen des unkontrollierten Marktes seine rationale Linie über den Haufen.

In den vergangenen Tagen gingen die Urinstinkte gleich zweimal mit dem selbst ernannten Modernisierer durch. Schröder wollte nicht akzeptieren, dass der Baukonzern Holzmann vom Markt gefegt wird, obwohl alle Voraussetzungen gegeben waren: Misswirtschaft, Überschuldung, Konkurs. Eigentlich ein klarer Fall, doch dem Kanzler waren die Jobs wichtiger. Mit 250 Millionen Mark aus öffentlichen Mitteln und politischem Druck auf die Banken setzte er den freien Markt außer Kraft. Wenn Schröder zu verhindern versucht, dass der britische Mobilfunkkonzern Vodafone das deutsche Traditionsunternehmen Mannesmann kauft, trägt die Politik der Staatsintervention zudem einen nationalen Zug. Besonderes Misstrauen befällt den Kanzler, wenn der Markt in der Gestalt des unüberschaubaren Weltmarktes daherkommt. Was könnten irgendwelche Briten mit einer alten deutschen Firma nicht alles anstellen? Sie hacken den Klotz in kleine Späne, die sie hernach in alle Himmelsrichtungen verstreuen, stehlen Mannesmann seine Firmenkultur und den Mitarbeitern ihre Identität.

Doch da ist der Kanzler vor – nicht zum ersten Mal: Als Anfang 1998 der Konzern British Steel sich anschickte, das niedersächsische Unternehmen Preussag Stahl AG zu erobern, stoppte Schröder das Geschäft. Der damalige Ministerpräsident wusste eine bessere Lösung: Das Land kaufte selbst, und der Landesvater ließ sich schon damals von seinen Arbeitern feiern. Des Kanzlers ökonomischer Lokalpatriotismus passt zum Unwohlsein weiter Schichten der Bevölkerung angesichts vermeintlicher Überfremdung. Schröder vertritt einen populistischen Protektionismus. Erlernt hat er ihn spätestens 1990, als er dem italienischen Reifenproduzenten Pirelli die Fusion mit Hannovers Continental AG anbot. Ein Aufschrei der Entrüstung ging durchs Werk und die Stadt, worauf der Wirtschaftslenker im Nebenberuf seine Linie änderte: Die Conti blieb deutsch. Seitdem agiert Gerhard Schröder als Modernisierer mit volkstümelndem Skrupel: kein Neoliberaler, sondern ein Nationalliberaler. Hannes Koch

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