■ Das Millenniumsbudget ist durch den Bundestag. Ab dem Jahr 2000 spart der Bund 30 Milliarden Mark im Jahr. Schröder und sein Schrumpf-Eichel haben eine neue Botschaft: Sparen macht Spaß!  Von Christian Füller
: Haben wir das verdient?

Daniel ist eine hübsche Antwort für den Medienkanzler eingefallen. „Ja, wir haben kapiert“, kommentierte der 17-jährige Realschüler augenzwinkernd die Haushaltsrede Gerhard Schröders im Bundestag. Daniel war am Mittwoch zusammen mit seiner 10. Realschulklasse aus dem norddeutschen Horneburg nach Berlin gekommen, um die Debatte um das Bundesbudget für das Jahr 2000 zu hören.

Gestern nun verabschiedete der Gesetzgeber nach viertägiger Beratung diesen Haushalt. Die Ausgaben des Bundes belaufen sich auf 478,8 Milliarden Mark – das sind 30 Milliarden Mark weniger als ursprünglich vorgesehen. Ein so genannter Sparhaushalt. „Zukunftsprogramm“ nennt das die Bundesregierung, und Schröder hatte bei der Generaldebatte über seinen Kanzleretat alle Mühe, diesen Euphemismus zu begründen.

Der Kanzler verwies auf das 100.000-Jobs-Programm für Jugendliche. Um ihnen Jobs zu besorgen, müsse man anderswo kürzen, streichen, sparen. Aber so sagt das der Kanzler natürlich nicht. Er nennt es Konsolidieren. Sparen kann Spaß machen, lautet seine und der SPD neue Botschaft – und die Kids finden das gut. Nächstes Jahr müssen sie sich auf Lehrstellensuche machen.

Was die rot-grüne Bundestagsmehrheit gestern beschloss, soll nichts weniger als die Abkehr von einem sozialdemokratischen Dogma werden: vom Schuldenmachen. Schröders SPD-Vorgänger im Kanzleramt, Brandt und Schmidt, haben Kreditaufnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe in der deutschen Politik erst salonfähig gemacht. Zu Kanzler Willy Brandts (1969–1974) Credo „mehr Demokratie wagen“', zählte auch mehr „Qualität des Lebens“. Das hieß abstrakt „Teilhabe“ – und kostete konkret mehr Geld. Weil Bildung, Theater, Bibliotheken, Forschung, soziale Sicherheiten nicht umsonst zu haben waren. Helmut Schmidt (1974–1982), der Weltökonom im Bundeskanzleramt, bezahlte sodann teure Konjunkturprogramme auf Pump. 29 Milliarden Mark ließ der Mann mit der Prinz-Heinrich-Mütze allein im Jahr 1975 am Kreditmarkt aufnehmen – dreimal mehr als im Jahr zuvor. In seiner gesamten Amtszeit stiegen die Staatsschulden um 180 Prozent.

Die CDU profitierte, als sie 1982 die Macht übernahm, von der sozialdemokratischen Spendierfreudigkeit. Die Unfähigkeit der SPD, mit Geld umzugehen, wurde der beste Wahlhelfer von Helmut Kohl (1982–1998). Doch der 16-Jahre-Kanzler setzte selbst den Marsch in den Schuldenstaat fort. Des Dicken Staatshaushalte trieben schon wenige Jahre nach Regierungsübernahme auf die strukturelle Verfassungswidrigkeit zu. Nur Bundesbankgewinne in Höhe von 50 Milliarden Mark Mitte der 80er halfen ihm, die Neuverschuldung halbwegs im Rahmen zu halten. „Wir haben uns benommen wie jemand, der in einem fürstlichen Restaurant ein opulentes Mahl zu sich nimmt und nachher erstaunt ist, wenn er die Rechnung sieht“, grübelte Otto Graf Lambsdorff (FDP) damals darüber, ob sich die Machtrochade der Liberalen von SPD zur CDU denn finanzpolitisch gelohnt habe.

Das war 1988. Danach kam die Wiedervereinigung und ließ die Staatsschulden förmlich explodieren – logischerweise. Entgegen der Kohlschen Ankündigung war der DDR-Kollaps nämlich nicht ohne drastische zusätzliche Kreditaufnahmen und Steuererhöhungen zu haben.

Bis Mitte der 60er borgten sich die Bundesfinanzminister nie mehr als zwei Milliarden Mark. Dann aber wurde das Leben auf Pump zum Normalfall. 1967 benötigte die damalige Große Koalition acht Milliarden Mark, um den Haushalt auszugleichen. Weitere krasse Zunahmen der Neuverschuldung gab es in den folgenden Jahren. 1975: 29 Milliarden. 1981: 37 Milliarden. 1991: 50 Milliarden. Und, bisheriger Höhepunkt, 1996: 78 Milliarden Mark. (Siehe Grafik „Nettokreditaufnahme“) Für den „Fonds deutsche Einheit“ nahm der Staat obendrein Extra-Verbindlichkeiten auf – 1991 waren das allein 37 Milliarden Mark.

Für diese Schuldenpolitik musste fast immer eine Theorie des Ökonomen John Maynard Keynes herhalten: Der Staat solle in Zeiten der Wirtschaftsflaute versuchen, die Konjunktur anzukurbeln. Und Pleite gehen kann er ja ohnehin nicht. Helmut Schmidt aber und seine Adepten logen sich in die Tasche. Keynes nämlich hatte gesagt, der Staat dürfe nur kurzfristig mit geborgtem Geld das Wachstum ankurbeln – andernfalls schade er dauerhaft dem Wohlstand der Nation.

Nach Ansicht des amtierenden SPD-Finanzministers Hans Eichel ist dieser Punkt nun erreicht: Im laufenden Jahr 1999 haben sich die Schulden des Bundes auf 1,5 Billionen Mark aufgehäuft. 82 Milliarden muss die Regierung jährlich allein für Zinsen aufbringen – inzwischen zweitgrößter Etatposten. Wenn es so weiter geht, müsste der Staat zugunsten des Zinsdienstes bald auf wichtige Aufgaben verzichten – zum Beispiel für das Jugend-Job-Programm. Deswegen hat Rot-Grün beschlossen, die Neuverschuldung bis zum Jahr 2003 auf 30 Milliarden Mark zu begrenzen. Im Jahr 2006, so will es der Finanzminister, sollen erstmals seit Ende der 50er-Jahre keine neuen Schulden gemacht werden.

Für die SPD ist das ein beispielloser Kraftakt. Es mutet an, als wolle die Sozialdemokratie unbedingt ihren Ruf der Geldverschwenderpartei los werden. Der Imagewandel ist teuer erkauft. Um die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen im Haushalt 2000 zu schließen, muss die SPD bei der eigenen Klientel kürzen, den so genannten kleinen Leuten: Arbeitslose gehören dazu, Zivildienstleistende und Rentner. Und auch der grüne Koalitionspartner ballt die Faust, weil für eine haushaltssanierte Zukunft manche Kröte im schnöden Hier und Jetzt geschluckt werden muss.

Die Union sträubt sich unterdessen grundsätzlich. Sie will nicht wahrhaben, dass die Sozis sich tatsächlich anschicken, sorgsam mit Geld umzugehen. „Das Sparen ist nicht ihre Erfindung“, giftete der CDU-Hauptredner bei der Etatdebatte, Volker Rühe, der SPD zu – und begann wider besseren Wissens die vielen Milliarden kleinzurechnen. Die Kürzungen für das 2000er Budget betrügen gar nicht 30 Milliarden Mark, behauptete Rühe. Und auch der Schuldenberg von 1,5 Billionen Mark darf so nicht stehen bleiben: Schließlich sei der für die deutsche Einheit aufgehäuft worden. Die Union schweigt über ihre eigenen Argumente zur Wende von 1982: dass genug rote Zahlen geschrieben seien und der Staat sein Budget nun konsolidieren müsse, um wieder handlungsfähig zu werden. Formeln, die inzwischen die SPD wortgetreu verwendet.

Das ist auch den Realschülern aus Horneburg nicht entgangen. Da mag der Kanzler noch so überzeugend reden. Da mögen gestern 321 Abgeordnete für den Sparhaushalt 2000 gestimmt haben. Da mag zum ersten Mal seit 1992 die Neuverschuldung unter 50 Milliarden Mark liegen.

„Das hört sich ja alles ganz gut an“, gibt Sebastian aus der Horneburger Zehnten zu bedenken, eher er die Bundestagstribüne verlässt, „aber ob das so stimmt?“