: Mir ging die Kiezmentalität auf die Nerven“
■ taz-Serie „Neu in Berlin“ (6): Die Künstlerin Bettina Munk (39) ist eigentlich nicht neu, sondern eine Berlin-Rückkehrerin. Vor sieben Jahren hatte sie Kreuzberg in Richtung New York verlassen
Ich habe noch ein Loft in New York. Aber ich bin froh, wieder in Berlin zu sein. Hier gibt es eine Bewegung, die bis Mitte der Neunzigerjahre nicht existierte. Allein, wie viele Galerien entstanden sind. 1992 als ich nach New York gegangen bin, war Berlin noch in der Katerstimmmung nach den historischen Stunden der Maueröffnung. Die Stimmung war von einer verhaltenen Verdrießlichkeit bestimmt. New York hat mich überwältigt. Dort hat das Leben eine Energie, die man körperlich spürt – Metropolenglanz und Überlebenskunst – alles gleichzeitig.
Ich habe in Brooklyn neben der Williamsburg Bridge gewohnt, das Haus gehört einem orthodoxen Juden, einem Chassid, der im Erdgeschoss sein Textillager hat, und in zwei oberen Stockwerken haben die Künstler ihre Lofts. Da ich hier nicht weit vom hispanischen Viertel und direkt am jüdischen Schtetl wohnte, erlebte ich die Chassidim von nahem.
Wir haben die Lebensweise des Anderen akzeptiert, und dass ich Deutsche war, spielte nie eine Rolle. Das ist ja im Grunde eine typische New Yorker Haltung. So lange du nicht durch die Gegend rennst und Leute erschießt, kannst du machen, was du willst. Mir ging in Berlin diese Kiezmentalität auf die Nerven, diese Enge der Mauerstadt.
Damals, Anfang der Achtzigerjahre, gehörte ich zur No-Future-Generation. Es war Hausbesetzerzeit. Da war man kompromisslos und Berlin roch nach kaltem Kohleofen. Aber hier war auch immer gleichzeitig die heimelige Insel. Wenn man mit der Zeit in seiner Arbeit als Künstlerin professionell wurde, wurde allerdings klar, dass in Berlin gar kein echter Kunstmarkt existiert. Das ändert sich langsam. Es gibt in Berlin keine schnelle Veränderungen, nicht den Umschlagplatz für Kunst wie New York und nicht die Menge der Kunstsammler. Daher immer wieder Anlass zum Zweifel, wo das alles hinführt.
Die Zeit nach der Maueröffnung war schwierig. Faktisch öffnete sich alles. Die Leute mit denen ich zu tun hatte, machten zu. Ich wohnte in Kreuzberg im vierten Haus hinter der Mauer. Damals konnte man nicht von Ost nach West hin und her telefonieren. Wenn ich nach Ostberlin telefonieren wollte, musste ich immer über den ehemaligen Todesstreifen gehen. Dort gab es ein öffentliches Telefon. Das war dann eines Tages kaputt. Ich fragte einen älteren Herrn auf östlicher Seite, wo das nächste Telefon sei.
Und während wir da so entlang des Todesstreifens gingen, zeigte er auf Kreuzberg und sagte: Da würde er ja nicht hingehen. Da wohnten ja ganz viele Ausländer. Wir liefen immer weiter entlang dieses Todesstreifens. Ich sagte nichts und sagte auch nicht, dass ich von dort drüben käme. Ich kam mir vor wie die Ausländerin schlechthin, eine Ausländerin in Ostberlin. Er schimpfte, obwohl er das dort drüben gar nicht kannte. Das war eine Haltung der Verengung , die immer stärker wurde, auch im Westen. Ich selbst habe die Öffnung der Mauer begrüßt. Ich habe viele neue Freunde im Osten gewonnen.
1992 bin ich dann weggegangen, weil ich ein einjähriges Senatsstipendium für das P. S. 1-Studio in New York hatte. Jetzt will ich wieder nach Kreuzberg ziehen. Da habe ich nie so die Verdrießlichkeit angetroffen, die sonst in Berlin überall zu finden ist. In Kreuzberg gibt es eine andere Geschwindigkeit als im übrigen Berlin. Kreuzberg hat für mich immer noch etwas mit Lebensqualität zu tun, mit der Akzeptanz anderer Lebensformen. Ich mag die kleinen Geschäfte und Betriebe in der Oranienstraße. Mit dem Prenzlauer Berg wurde ich nicht so warm, als ich dort kurz wohnte. Abseits von idyllischen Orten wie dem Kollwitzplatz gibt es zu viel Hundescheiße in den Seitenstraßen und eine Mentalität von Berliner Urgestein, die mir gar nicht zusagt. Trotz all der neuen Kneipen und hippen Läden fand ich Szenen von großer Engstirnigkeit.
Für meine Abeit ist Berlin ganz wichtig, da für mich Kunst immer dann wichtig ist, wenn sie erlebbar ist. Mich interessieren Prozesse: Berlin ist spannender geworden, weil es sich nicht mehr so um sich selbst dreht. Es kommen endlich Anregungen und Anforderungen von außen, das ist eine Chance. Außser den Bonnern kommen vielleicht auch ausländische Diplomat/innen, Gesandte und Neuberliner/innen, die Spuren ihrer Kultur hier ansiedeln, und man feiert in Zukunft hier noch andere neue Feste außer dem Karneval. Ich bin da neugierig, und diese Aussichten auf Veränderung haben es mir auch leicht gemacht, New York erst mal den Rücken zu kehren. Andrerseits ist Berlin seit jeher ein Synonym für Vorläufigkeit. Ich kann mir kaum vorstellen, wie sein wird, wenn es ganz fertig gestaltet ist. Ob ich dann wieder nach New York gehe? Zugehört hat Annette Rollmann
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