: „Bamberger! Feigling! Laden aufmachen!“
■ Julius Bamberger war ein Bremer Unternehmer und deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Erst hatte er einen Erfolg wie Rockefeller, dann haben ihn die Nazis aus der Stadt gejagt. Ein neues Buch erinnert jetzt an ihn
Am 1. April 1933 war an der Faulenstraße in Bremen ein großer Menschenauflauf. Die soeben gewählte Naziregierung organisierte einen Boykott so genannter jüdischer Unternehmungen. Deshalb postierte sich die SA auch vor dem Kaufhaus Bamberger. Der Betriebsrat tagte in meinem Büro, und wir beschlossen, den Laden nicht zu öffnen, erinnert sich der Unternehmer, Kaufhausbesitzer, Jude, Bremer und Deutsche Julius Bamberger später an diesen Tag. Um 10 Uhr hörten wir jedoch Massenchöre: „Bamberger! Feigling! Laden aufmachen!“ etc. Es standen einige tausend unaufgeklärte Volksgenossen auf dem freien Platz vor dem Kaufhaus, alle bewaffnet – mit leeren Einkaufskörben.
Es waren, so fährt Bamberger in seinen Erinnerungen fort, Lastautos aufgefahren, gefüllt mit schwer armierter S.A., und vor den drei Eingängen standen zwei Dutzend Nazis mit gezogenen Revolvern. Da die Möglichkeit des Blutvergießens und der völligen Zerstörung des Hauses nahe lag, ging ich hinaus in den Tumult. Von der Kandelaber Insel in der Mitte des Platzes hielt ich dann eine kleine Ansprache: „Kinder, wir kennen uns jetzt schon 25 Jahre, und ich habe Euch niemals falsch beraten!“ (Eine Frauenstimme schrie: „Lüge, es sind 26 Jahre“, und alles lachte.) „Wenn wir heute nicht aufhaben, so ist dies nur, um Blutvergießen zu vermeiden, bitte geht heute ruhig nach Hause.“ Die guten Frauen von Bremen winkten recht freundlich und verschwanden ohne einen Ton. Die Boykott Soldaten standen noch eine Stunde sehr verblüfft und fuhren dann nach Oldenburg zurück. Mit dem Blutvergießen war es nichts. Am nächsten Tage hatte das Haus den größten Verkaufs-Umsatz seit 26 Jahren. Ich aber wurde wieder einmal für 24 Stunden festgesetzt. Grund: Zu viele Freunde.
Der Kaufmann Julius Bamberger muss schon zu Lebzeiten eine Legende gewesen sein. Heute erzählen sich die Alten aus dem Bremer Westen noch Geschichten über ihn. Darüber, wie er manchmal Kleidung an Bedürftige verschenkt hat. Oder wie er arme Leute ganz billig in der Cafeteria seines Kaufhauses essen ließ. Doch ansonsten sind Legende und Geschichten langsam verblasst. Deshalb hat Günther Rohdenburg vom Bremer Staatsarchiv alles Wissenswerte über Bamberger jetzt in einem Buch namens „Das war das neue Leben“ veröffentlicht. Und Bambergers Erinnerung an den Boykott-Tag ist eine der rührendsten und komplexesten Passagen darin.
„Gegen das Vergessen“ überschreiben 92 Prozent aller Zeitungen Artikel über solche Themen. Das führt dazu, dass die 92 Prozent der Bevölkerung, die sich nicht an die Shoah oder an „ehemalige Mitbürger dieser Stadt“ erinnern lassen wollen, gleich anderswo weiterlesen können. Und dennoch sind diese Überschriften zugleich zutreffend. „Gedenktage drohen mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten, wenn sie nicht mit Namen und Inhalten verbunden werden“, weiß Hartmut Müller, der Leiter des Staatsarchivs. „Nur über Einzelpersonen“, fährt Müller fort, „sind gerade jüngere Leute noch für diese Themen zu erreichen.“
Julius Bamberger (1880-1951) ist aber mal eine ganz besondere Einzelperson. Man wünscht seiner ehemaligen Wahlheimatstadt Bremen beim Lesen des rund 150 Seiten dünnen Buches heute mehr Leute von Bambergers Format.
Die Kurzfassung dieses Lebens ist ratzfatz erzählt (die Langfassung passt in keinen Zeitungsartikel, aber dafür gibt es ja das Buch). Julius Bamberger war nämlich so ein Rockefeller unter den NeubremerInnen. Im Alter von 27 Jahren kam der in Kaufhäusern von Verwandten ausgebildete Julius Bamberger nach Bremen, um sein eigenes Warenhaus zu gründen. Was 1907 auf zwei Etagen begann, wuchs in den Jahren zum dritt- bis zweitgrößten Bremer Kaufhaus (Karstadt war auch für ihn nicht einzuholen). Innerhalb von elf Jahren gehörte er zu den 2.000 reichs-ten BremerInnen. Doch diese Aufstiegsgeschichte war vor allem nach dem Ersten Weltkrieg mit Inflation, Weltwirtschaftskrise und Verarmung seiner vorwiegend aus den Arbeiterstadtteilen kommenden Kundschaft in Wahrheit ein Auf und Ab. Bamberger trudelte mehrfach, aber stürzte nie.
Bambergers Lebensgeschichte ist voller Kuriosa und Tragödien. So war der Mitgründer des Verbandes Nationaldeutscher Juden natürlich Soldat im Weltkrieg. Trotz seines Offiziersranges wurde er während der anschließenden Räterepubik sogar in den Arbeiter- und Soldatenrat gewählt. „Unter Protest“, so berichtet er später, nahm er die Wahl an und ließ seinen Widerspruch zu Protokoll nehmen. Dieses Schreiben hat ihm das Leben gerettet. Denn das Freicorps Gers-tenberger erschoss später alle „Nicht-Protestanten“.
Bei den Recherchen für sein Buch ist Günther Rohdenburg auf viele ähnliche Episoden gestoßen. Er hat dabei nicht nur die Handschrift Bambergers entziffern gelernt, sondern auch mit ZeitzeugInnen gesprochen. So ganz nebenbei betrieb er sogar Familienzusammenführung. Denn Bambergers noch lebende Tochter Anneliese (auf die der aus Bremen stammende Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff beide Augen geworfen hatte) erfuhr erst durch Rohdenburg die volle Wahrheit: Dass sie Bambergers Adoptivtochter ist und einen Bruder in Berlin hat. Solche Biographien sind eben rührend und bewegend – für die, die sie schreiben, und für die, die sie lesen.
Insgesamt viermal, steht unter anderem im Buch, musste Bamberger neu anfangen. Und es steht auch drin, welchen Hass die Einzelhändler auf Kaufhäuser, ihre schönen Rolltreppen und ihre oft jüdischen BesitzerInnen hatten und wie dieser Hass ab 1933 Regierungspolitik wurde. Denn nach dem glücklichen Ausgang des Boykott-Tages am 1. April 1933 raubten die Nazis Bamberger Schritt für Schritt die Geschäftsgrundlage. Obwohl die „guten Frauen von Bremen“ trotzdem weiter beim Juden kauften, ging's für Bamberger immer weiter abwärts. 1937 floh er und folgte seinen beiden Kindern. Seine Frau Friedel war in Bremen geblieben und brachte sich 1940 um, was eine nicht ganz aufgeklärte Tragödie ist. Das früher mal zehnstöckige Kaufhaus Bamberger, das nach der fes-ten Überzeugung Günther Rohdenburgs ohne die Nazis noch heute eins der größten Bremens wäre, steht zum Teil noch. Von 1944 bis 1945 betrieb der Kriegsgewinnler Walther Többens ein Geschäft in „Bremens erstem Wolkenkratzer“ (so ein Zeitungsbericht). Heute residieren das „Ausgleichsamt“ und das „Landesamt für Wiedergutmachung“ im ehemaligen Kaufhaus an der Faulenstraße 69. Es gibt einfach Geschichten, die kann man nicht erfinden. Christoph Köster
Günther Rohdenburg: „Das war das neue Leben – Leben und Wirken des jüdischen Kaufhausbesitzers Julius Bamberger und seiner Familie“, Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen, Heft 29; erhältlich für 15 Mark dortselbst oder im Buchhandel
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