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Wie wir den Krieg gewannen

Magical History Tour: Der Musikkritiker Konrad Heidkamp lauscht der „Musik einer Generation“ nach. Es geht um eine nachhaltige Liebesaffäre, und die in sie Verstrickten hörten die Signale, aber leider überhörten sie manchmal die Botschaft  ■   Von Anke Westphal

Da erzählt einer von früher: Das blonde Mädchen kam immer zwischen zwei und halb drei aus der Schule, lief den Mietblock entlang und verschwand in einer Tür. Der Junge wartete darauf, und eines Tages drehte er „Tell Me“ von den Rolling Stones nur ihretwegen so laut auf. Sie ignorierte das Signal. Eine schöne Geschichte, die jeder kennt, der zwischen 1940 und 1965 geboren wurde. Bei anderen war es „Dazed And Confuzed“, denn Led Zeppelin waren gerade groß, man setzte, wie Konrad Heidkamp es formuliert, „musikalische Duftmarken“ und stellte am Ende fest, dass man nicht zusammenpasste.

Die daraus folgende Tragik des Allein-, aber Auserwähltseins – auch dieses Gefühl lässt der Musikkritiker Heidkamp (Zeit, in den Achtzigern taz) nicht aus. Ein bemerkenswertes Buch über Rock und Jazz hat er geschrieben. „It's all over now“ von Van Morrison, der alte Heul-Song, macht sich als Titel traurig, weil er die abgeschlossene „Musik einer Generation – 40 Jahre Rock und Jazz“ ankündigen muss.

Doch die flüsternde Melancholie macht es nicht. Heidkamps Essayband spricht von Musik als Erfahrung, als Angelegenheit der „Seele“ – und somit auch von den Grenzen aller Musikkritik. Denn so ein Musikkritiker kann alles Mögliche beschreiben: Geschichte und Funktionieren einer Band oder eines Werks, Einsatz und Funktion der Instrumente, Stil, Komposition, Struktur, Tempi der Songs, Aussehen und Gehabe der Musiker und die Stimmung beim Konzert, er kann allem auch noch eine gesellschaftliche Bedeutung unterlegen – und doch am Wesen des Themas glanzvoll vorbeimarschieren. Am schwierigsten lässt sich die – tja – „eigentliche“ Wirkung von Musik erklären: der Synergieeffekt von Empfindung, Klang sowie privatem und öffentlichem Umfeld. Was einer der Gründe dafür sein mag, dass Musikkritik sich so oft als Kritik von Oberflächen geriert.

Heidkamp beginnt jeden seiner Essays mit sich selbst. Doch der kritische Synergie-Ansatz gebietet auch, dass jedes autobiografische Fragment in eine subjektive Gesamterfahrung von Epoche eingetaktet wird. Der Sommer 1963 der Beatles – das ist die Zeit Adenauers, die Zeit, in der John F. Kennedy versichert, ein „Berliner“ zu sein, die Wochen, als Bubi Scholz im Boxring und Marika Kilius & Hans-Jürgen Bäumler auf dem Eis standen. 1963 bevölkern Connie Francis, Elvis Presley, die Everly Brothers und das Orchester Gerhard Wendland Paralleluniversen – und doch dasselbe Wohnzimmer. Mittendrin in dieser historischen Gleichzeitigkeit von Musik, Sport, Kino, Politik und Technik steht ein junger Mann, ein immerwährender Fan, den ein gealterter und altersweise gewordener Autor Heidkamp auf (s)einer Magical Mystery & History Tour begleitet.

It's All Over Now“ erzählt im Augenblick ihres Verblassens noch einmal die Geschichte einer Rettung, der Ankunft von Rock und Jazz in der Bundesrepublik, repräsentiert durch musikalisch-stilistische Prototypen. John Coltrane, Bob Dylan, Carla Bley, David Bowie, die Sex Pistols – Heidkamp porträtiert an die zwanzig Künstler und Bands, sein Einfühlungsvermögen in subjektive Dispositionen (sei es Thelonious Monks Isolation oder Bowies Hang zur Maskerade) ist so erstaunlich wie sein historisches Assoziieren kühn – etwa wenn er Nina Simone und Ulrike Meinhof politisch zusammendenkt oder Woodstock und das Newport Jazz Festival von 1958 koppelt. Da stutzt man als Leser schon mal, was nebenbei bemerkt nicht das Schlechteste ist, aber nie gerät Heidkamp mit seinen Quersummen auch nur in die Nähe von akademischer Prätention oder privater Nabelschau. Immer nutzt er das Porträt eines Musikers und die Geschichte der Bekanntschaft mit seiner Musik dazu, einen wesentlichen Aspekt von Musikerfahrung- und geschichte aus der Nähe zu verstärken.

Im Falle Bob Dylans ist es die Sache mit der Idolbildung, während es bei den „musikalischen Siebdrucken“ der Velvet Underground um das Lockern der ideologischen Hab-Acht-Stellung (Marx-Seminare) via Sonnenbrillen-Symbol (Distanz!) geht. Und wenn dann „Rolling Stones“ in der Kapitelüberschrift steht, geht es auch um die Etablierung des Gegensatzpaares „adrette Band“ (Beatles) „dreckige Band“ (erraten Sie's?) in der Popgeschichte und um das Festlegen idealtypischer Männerfiguren in jenem Sammelbecken, das man Band nennt. Keith Richards – der Dämonische. Charlie Watts – der Intellektuelle ... . Fortsetzung folgt als never ending story.

„It's All Over Now“ ist im besten Sinn ein Lesebuch – bei aller Klugheit lebendig, bei aller Reife irgendwie demütig gegenüber der vergehenden Zeit. Es ist auch das Resultat einer nachhaltigen Liebesaffäre mit der Musik, synkopiert von Fotos und Allerlei. Private Songbooks werden aufgeblättert, dreiundzwanzig deutsche Überschriften zu Bob Dylan (“Star und Zimmermann“!) angeführt ... Überall scheint ein deutliches Nein zur autoritären „Ästhetik-Kontrolle“ durch, ob sie nun von Seiten der Jazz-Kulturisten kommt oder aus dem linken Lager („Glam-Rock verdummt!“). Ein knapper Satz räumt mit 30 Jahren – auch selbst praktiziertem – Vortrittsrecht auf: „Es gehörte schon immer zum guten Ton, Joan Baez peinlich zu finden.“

Weil Heidkamp längst über den Zwang zum guten Ton hinaus ist, kann er im Rückblick die – bei aller versuchten Nähe – deutliche Hilflosigkeit seiner Generation gegenüber schwarzer Musik und Kultur betrauern. Die innere Abwehr, das deutsche Unverständnis, galt dem afroamerikanischen Miteinander von Aufklärung und Religiösität. In dem Einführungsessay und Glanzstück von „It's All Over Now“ geht es darum, wie zeitgeschichtliche und politische Sehnsucht in Musikstücken erst formuliert – und dann auch wieder verschlossen wird. Heidkamp hat ihr nachgelauscht. Wahrscheinlich kann man diese Botschaft der Lieder nicht wirklich verstehen, ohne zumindest so zu tun, „als gebe es keinen anderen Ausweg als die Musik“.

Konrad Heidkamp: „It's All Over Now. Musik einer Generaton – 40 Jahre Rock und Jazz“. Alexander Fest Verlag, 256 Seiten mit ca. 180 Abbildungen, gebunden, 49,80 DM.

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