: Untreue war das Fundament des „Systems Kohl“
■ Wenn der ehemalige CDU-Vorsitzende eigenmächtig über die Verwendung von Parteigeldern entschieden hat, könnte dies strafrechtliche Folgen für ihn haben
War Helmut Kohl untreu? Das interessiert inzwischen nicht mehr nur seine Frau. In den nächsten Tagen will die Bonner Staatsanwaltschaft bekannt geben, ob sie förmliche Ermittlungen gegen den Altkanzler aufnimmt. Beim möglichen Straftatbestand der „Untreue“ geht es dann natürlich nicht um die Verletzung ehelicher Pflichten, sondern um die Veruntreuung von Geldern, insbesondere solche der CDU. Zu klären ist dabei, wie das unter Kohl aufgebaute System der Anderkonten und separaten Kassen strafrechtlich zu bewerten ist.
Kohl hat in seiner persönlichen Erklärung Ende November eingeräumt, dass er als CDU-Parteivorsitzender „eine von den üblichen Konten der Bundesschatzmeisterei getrennte Kontenführung“ praktiziert habe. Aus diesen Konten habe er auf vertraulicher Basis Sonderzuwendungen an Parteigliederungen und Vereinigungen“ ausbezahlt. Wenn auf diesen Konten Geld lag, das eigentlich der Partei gehörte, dann durfte Kohl hierüber nicht eigenmächtig verfügen. Das CDU-Parteistatut sagt eindeutig: „Der Bundesschatzmeister verfügt über alle Einnahmen der Bundespartei.“ Die „getrennten“ Konten – man könnte auch von „schwarzen Kassen“ sprechen – verstoßen auf jeden Fall gegen das Parteiengesetz, weil damit der Rechenschaftsbericht der CDU unvollständig wurde. Gleichzeitig wurde damit aber auch den satzungsgemäßen Organen der CDU die Verfügung über Gelder vorenthalten. Das Geld, das Kohl für die punktuelle Unterstützung einzelner Parteigliederungen verwendete, stand den hierzu berechtigten Gremien nicht mehr zur Verfügung. Dabei ist zu vermuten, dass Kohl bei der Verteilung der Summen nicht nur einfach unbürokratisch vorgehen, sondern gezielt Abhängigkeiten erzeugen wollte. Ob ein solcher – im Wesentlichen innerparteilicher – Vorgang bereits den strafrechtlichen Tatbestand der „Untreue“ verwirklicht, wird wohl nicht leicht zu klären sein.
Wichtig für die juristische Bewertung sind aber auch viele Vorfragen im tatsächlichen Bereich: War das Geld, das Steuerberater Weyrauch auf so genannten „Vorkonten“ verwaltete, der CDU bereits zugegangen oder wurde es ihr quasi vorenthalten? Und sind Weyrauchs „Vorkonten“ mit den „getrennten“ Konten, über die Kohl sprach, identisch? Weyrauchs Aussage, dass Kohl von den Treuhand-Anderkonten „im Einzelnen keine Kenntnis“ hatte, verträgt sich jedenfalls schlecht mit Kohls Eingeständnis, er habe aus solchen Konten Zahlungen veranlasst.
So hat man den Eindruck, dass im Moment noch so viel gelogen wird, dass ein klares Bild noch nicht zu sehen ist. Wenig vorstellbar ist allerdings, dass das finanzielle „System Kohl“ in der CDU völlig unbekannt war.
Aber selbst wenn alle mehr oder weniger Bescheid wussten – deshalb würde eine etwaige strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht entfallen, gemildert würde allenfalls das Maß der Schuld. Auch die Verjährung rettet Kohl nicht. Zwar sind Untreue-Taten bereits nach drei Jahren verjährt. Da aber die letzten Anderkonten erst im vorigen Jahr geschlossen wurden, dürfte auch Kohls „getrennte“ Kontenführung bis dahin bestanden haben.
Christian Rath, Freiburg
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