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Gewöhnen an die PDS

Die Sozialisten haben durch ihren Wahlerfolg nun die Chance, sich auch im Westen als normale Partei zu präsentieren    ■ Von Sabine am Orde

Auf den ersten Blick ist es wie ein Besuch in einer vergangenen Zeit: Um den Holztisch sitzen fünf Männer und zwei Frauen, die durchschnittlich weit über 60 Jahre alt sind. Über ihnen an der Wand hängen Porträts von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, im Regal daneben stehen meterweise die dicken blauen Bände der Marx-Engels-Werke, darunter in Braun die Lenin-Gesamtausgabe.

„Die jüngeren Genossen kommen immer etwas später“, sagt Gert Julius und zieht den Reißverschluss seiner Fleecejacke höher. In dem Büro in der Goltzstraße, in dem sich heute die Schöneberger PDS trifft und früher die Sozialistische Einheitspartei West-Berlin (SEW) zusammenkam, ist es kalt.

Gert Julius ist 63 Jahre alt, 31 Jahre davon war er in der SPD, zuletzt stellvertretender Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA). Im Mai ist er ausgetreten, „wegen dem Nato-Überfall auf Jugoslawien und dem Sozialabbau“. Jetzt sitzt Julius, der bereits als langjähriger Vorsitzender des DGB-Bezirksverbands Kontakt zur PDS hatte, als einziger Abgeordneter für die demokratischen Sozialisten in der Schöneberger Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Hier will er sich dafür einsetzen, dass im öffentlichen Dienst „keine Kolleginnen und Kollegen entlassen werden“, dass Kitas mehr Personal bekommen und die Jugendzentren Pallasladen und Drugstore erhalten bleiben.

Die PDS hat bei den letzten Wahlen im Westteil der Stadt kräftig zugelegt. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus hat sie ihr Ergebnis mit durchschnittlich 4,2 Prozent verdoppelt. In den Bezirken liegt sie zwischen 2,2 (Zehlendorf) und 8,6 (Kreuzberg) Prozent, in Schöneberg sind es 4,8 Prozent. In acht der zwölf Bezirke ist die PDS im Kommunalparlament vertreten.

„Das ist für die Partei ein großer Schritt nach vorn“, urteilt Holger Liljeberg, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Info GmbH. Die PDS-Bezirkspolitiker im Westen würden als gewählte Volksvertreter anerkannt. Sie seien für die Bevölkerung greifbar und in der Bezirksberichterstattung der Zeitungen präsent. Der Effekt: Die Bevölkerung kann sich an die PDSler als ganz normale Politiker gewöhnen. „Jetzt kommt es darauf an, ob sie glaubwürdige Kommunalpolitik machen.“

Die Kreuzberger PDS ist vor wenigen Monaten in ein frisch renoviertes schmales Häuschen in der Oranienstraße gezogen. Im zweiten Stock, wo die Basisorganisation tagt, wartet Michaela Lindner mit drei GenossInnen auf die anderen. Lindner, die im vergangenen Jahr statt Michaela noch Norbert hieß und PDS-Bürgermeister im sachsen-anhaltischen Örtchen Quellendorf war, ist als Spitzenkandidatin für die BVV ins Rennen gegangen. Als sie wegen ihrer Transsexualität ihren Posten in Quellendorf verlor und den Ort verließ, war ihr klar: „Ich gehe nach Kreuzberg, weil das Berlins tolerantester Bezirk ist.“

Tolerant und bunt ist auch das Image, auf das die PDS Kreuzberg setzt. Genossen wie Steffen Zillich, der für die Kreuzberger PDS im Abgeordnetenhaus sitzt und sich für Bürgerrechte stark macht, beschreiben ihren Bezirksverband als „realtiv jung, von den Biografien sehr gemischt, die größte und aktivste West-Basisorganisation“. Hier seien Kreuzberger Urgesteine, junge Zugezogene, ehemalige Grüne, Autonome, SEWler und DKPisten vereint. Prominentester Zuwachs in letzter Zeit war die ehemalige grüne Landesvorstandssprecherin Birgit Daiber.

Das Programm der Kreuzberger erinnert an grüne Kommunalpolitik, aufgepeppt mit radikaler Rhetorik – und auch mit Witz: „Die Bretterwand zwischen Textil- und FKK-Bereich in Prinzenbad muss fallen“, heißt eine bahnbrechende Forderung. Jährlicher Höhepunkt Kreuzberger PDS-Aktivitäten ist das 1.-Mai-Fest auf dem Mariannenplatz. „Wir wollen an die Initiativen ran“, sagt Zillich, „und die Themen besetzen, die die Grünen verlassen haben.“ Er meint Sozial-, Kinder- und Jugendpolitik sowie soziale Stadtentwicklung. Damit hat die Partei in Kreuzberg Erfolg: Drei PDS-Abgeordnete sitzen in der BVV.

Die WählerInnen im Westen, heißt es bei mehreren Meinungsforschungsinstituten, seien zur Hälfte Ostler, die in den Westteil der Stadt gezogen sind. Hinzu kommen junge Leute und ehemalige Grünen- und SPD-WählerInnen, die – besonders wegen des Kosovo-Kriegs und der Sozialpolitik – Rotgrün der Rücken gekehrt haben. „Ob das dauerhaft reicht, ist fraglich“, meint Gero Neugebauer, Parteienforscher an der FU. Um das Feld links von SPD und Grünen zu besetzen, brauche es mehr als das Eintreten für eine wohlfahrtsstaatlich orientierte soziale Gerechtigkeit.

Das meint auch Meinungsforscher Liljeberg. Seiner Ansicht nach fehlt es der Partei im Westen an kompetentem Personal. In der 33-köpfigen Abgeordnetenhausfraktion sitzen sieben Wessis. „Das Problem ist, dass die Partei vor allem in den alten Bundesländern, aber auch in Westberlin ihr Personal aus linken Splittergruppen rekrutiert hat.“

Das stimme vielleicht für Anfang der 90er-Jahre, widerspricht PDS-Landesvize Udo Wolf, zuständig für die Westkoordination. „Heute ist das nicht mehr so.“ Anfangs hätten orthodoxe Gruppen die Westverbände stark beeinflusst und vor allem ideologisch diskutiert. Mitte der 90er-Jahre hätten sich zwei Positionen gegenübergestanden: Sollte die PDS eine Sammlung von Altlinken sein oder etwas originär Neues aufbauen und sich der alternativen Szene zuwenden? Der Landesparteitag beschloss Letzteres und verdonnerte die Westbezirke, sich kommunalpolitisch zu verankern. Einige GenossInnen wollten das nicht, die Basisorganisationen bröckelten.

Von den 18.000 Berliner PDS-Mitgliedern, die Anfang des Jahres gezählt wurden, kommen 500 aus dem Westteil der Stadt, genauso viele wie bereits Mitte der 90er-Jahre. In Kreuzberg gibt es 100, in Schöneberg 40 demokratische Sozialisten. Doch es geht bergauf, meint Parteisprecher Axel Hildebrandt: Von den ungefähr 200 Eintritten in diesem Jahr sind drei Viertel aus dem Westteil der Stadt.

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