piwik no script img
taz logo

Häppchenrunde beim Kanzler

■  Trotz aller Zankerei hat bislang niemand vorgeschlagen, das Bündnis aufzulösen

Berlin (taz) – Bislang haben die Teilnehmer beim Bündnis für Arbeit noch alles kleingekriegt, was nach mehr Beschäftigung aussah. Das soll sich ändern. Gestern plauderten Regierungskreise aus, was die Bündnisrunde morgen verabschieden soll. Anscheinend stimmen die Arbeitgeber zu, in schwächeren Regionen mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Außerdem soll anhand von zwei Modellen geprüft werden, ob ein Niedriglohnsektor nutzt. Bei Jobs, die weniger als 1.600 Mark brutto bringen, will der Staat anteilig die Sozialversicherungsbeiträge übernehmen.

Für die IG Metall geht es am Sonntag ums Ganze. Sagt sie. Falls auch die vierte Runde des Kanzlertreffens ergebnislos auseinander gehe, „läuft sich das Bündnis tot“, drohte Jürgen Peters. Der zweite Vorsitzende der IG Metall wartet auf den Durchbruch. Stemmen will die Gewerkschaft den durchgreifenden Wandel auf dem Arbeitsmarkt mit der „Rente mit 60“. Wenn IG-Metall-Chef Klaus Zwickel sich morgen Nachmittag mit seinen Bündnisgenossen trifft, dürfte das Thema nicht lange auf sich warten lassen. Schließlich hätten bei einer Meinungsumfrage acht von zehn Befragten gesagt, sie seien von dem frühen Ausstieg begeistert, heißt es in der Gewerkschaftszentrale.

Die Spitzenmetaller stört es nicht, dass Ökonomen jeder Couleur bescheinigen, dass eine Politik der Stilllegung von Arbeitskraft kaum etwas bringt.

Am wenigsten trauen die Arbeitgeber dem Konzept „Jung tauscht Arbeitsplatz mit Alt“. Die Diskussion über eine generelle Regelung der Rente mit 60 halten sie für wenig fruchtbar.

Gestern ließ Werner Stumpfe seinen Gegenpart Zwickel abermals links liegen. Der Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall sitzt nicht mit am Tisch, aber sein Nein hat Gewicht. Jetzt will Stumpfe Zwickel ausmanövrieren. Die Altersteilzeit soll aufgebessert werden, die betriebliche Altersvorsorge will er ausbauen. Junge Arbeitnehmer sollen in eine betriebliche, kapitalgedeckte Altersvorsorge einzahlen, um Abschläge bei früherem Ausscheiden zu kompensieren. Dies mache die von den Gewerkschaften geforderten Branchenfonds überflüssig, sagte Stumpfe gestern.

Ob allein die Arbeitnehmer in den Betriebsfonds einzahlen oder sich auch die Arbeitgeber daran beteiligen, lässt der Gesamtmetallchef offen. Ebenso wie die Frage, welche Möglichkeiten jenen eingeräumt werden sollen, die heute bereits vor der 60er-Grenze stehen. Doch bevor die Arbeitgeber sich auf konkrete Verhandlungen ihres Modells einlassen, will Stumpfe zunächst nur eines von der Gewerkschaft hören: „Dass sie sich auf eine mehrjährige moderate Lohnpolitik einlässt.“ Ohne eine solche Lohnabsprache läuft scheinbar gar nichts. „Lohnabsprachen sind das Kernstück eines Bündnisses“, sagt Stumpfe.

In einem allerdings sind sich Metallarbeitgeber und -arbeitnehmer einig: Der Kanzler soll in den Streit um die „Rente mit 60“ eingreifen. Bislang hatte sich Gerhard Schröder mit der Rolle des Zuhörers begnügt. Die Erfolge mit Holzmann und die Zustimmung auf dem SPD-Parteitag haben das Selbstbewusstsein des Kanzlers gestärkt. So gut geerdet könnte er sich Sonntag ein Herz fassen und den versammelten Dauerstreitern deftige Worte sagen. Denn selbst nach drei verquatschten Runden sieht Schröder das Bündnis als „Fokus unserer Politik der neuen Mitte“. Kaum zu glauben: Nach einem Jahr Bündnis-Dauerkrise glaubt der Kanzler immer noch an die „guten Chancen, gemeinsam den Stillstand der letzten Jahre aufzubrechen“ – dies jedenfalls versichert er in einem Artikel, den er kürzlich für eine Publikation des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Thema schrieb. „Eine solche Politik“ verlange allerdings, „ideologische Scheuklappen abzulegen“.

In den vergangenen Tagen hielt sich niemand an diese Bitte. Neben Klaus Zwickel trat auch Dieter Hundt als Stimmungsmacher auf. Gestern dachte er laut darüber nach, ob die Arbeitnehmer nicht Weihnachts- und Urlaubsgeld in einen „Rententopf oder Pensionsfonds“ stecken könnten. Blitzschnell schossen die Gewerkschaften zurück. Hundt mische sich nach „Gutsherrenart in die Verwendung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes ein“, konterte die Deutsche Angestellten Gewerkschaft. Zuvor hatte schon Hans-Peter Stihl, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, gefordert, man müsse die 40-Stunden-Woche wieder einführen.

Trotz der Zankerei hat bislang niemand vorgeschlagen, am Sonntag möge sich das Bündnis mangels Effizenz selbst auflösen. So destruktiv will dann doch keiner sein. Vielleicht haben die Indianer in den vergangenen Tagen nur so viel geheult, um stark zu sein, bei Plätzchen und Tee mit dem Kanzler eine Friedenspfeife zu rauchen.

Annette Rogalla

Lesen gegen das Patriarchat

Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz zahl ich illustration
taz zahl ich

Lesen gegen das Patriarchat

Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – ohne Paywall. Das geht nur, weil sich viele Leser:innen freiwillig an der Finanzierung beteiligen und unseren kritischen Journalismus unterstützen. Sind Sie schon dabei? Unterstützen Sie jetzt die taz.