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Glücklich ist, wer Süßes isst

Karens KochKunst - die Serie der taz hamburg für GenießerInnen. Teil 26:Schokolade hilft gegen den Winterblues – kurzfristig  ■ Von Karen Schulz

Eine Erkrankung mit Nord-Süd-Gefälle macht jedes Jahr zum Herbst Schlagzeilen – die sogenannte Winterdepression. Immerhin etwa 10 Prozent der Bevölkerung nördlich des Äquators sollen unter den Symptomen der „seasonal affective disorder“, zu deutsch saisonal abhängige Depression (SAD), leiden.

Neben dem winterlichen Blues werden dazu erhöhter Schlafbedarf, verringertes Interesse an Sex, Heißhunger auf Süßes sowie Reizbarkeit gezählt. Die Ursache für SAD ist im winterlichen Lichtmangel zu suchen – und erklärt, warum Menschen im dunkleren Finnland stärker betroffen sind als in Italien oder Spanien. Je weniger Licht via Augen auf die Zirbeldrüse im Gehirn wirkt, umso mehr Melatonin produziert sie – ein Hormon, das müde macht. Damit einher geht ein Stimmungstief, denn zur Melatoninproduktion verbraucht der Körper das „Glückshormon“ Serotonin, so dass die hormonbedingte gute Laune flöten geht.

Diese Verkettung soll für Heißhunger auf Süßigkeiten verantwortlich sein – denn der Körper verlangt auf kürzestem Weg Nachschub für den Serotoninspiegel, sagen die einen. Und raten dazu, neben der medizinischen Lichttherapie per richtiger Ernährung und Wahl der korrekten Lebensmittel mit hohem Anteil an komplexen Kohlenhydraten der SAD gegenzusteuern. Reis, (Vollkorn-)Nudeln, Kartoffeln, Getreide, Vollkornbrot, aber auch fettarmes Fleisch und Fisch, Milchprodukte, Nüsse, Mandeln und Bananen sollen die Produktion von Serotonin fördern. Schokolade, auf die Menschen mit Winterblues häufig zurückgreifen, wird hingegen nur kurzfristige Wirkung attestiert, weil sie schnell verbrannt wird und zu neuen Hungerattacken führt – und als Nebenwirkung Unmengen an „leeren“ Kalorien mit sich bringt, die als Winterspeck in lichteren Zeiten für neue Depressionen sorgen.

Ob der hormonelle Kreislauf von Melatonin und Serotonin so einfach per Nahrung gesteuert werden kann, ist bisher jedoch nicht geklärt, gibt Professor Joachim Westenhöfer von der Fachhochschule Bergedorf zu bedenken. Wäre es so, könnten tatsächlich alle Kohlenhydrate dazu beitragen, die SAD zu beseitigen – und nicht nur Schokolade müsste als winterlicher Seelentröster herhalten. Dass jedoch gerade die braune Kakaomasse immer wieder als Stimmungsaufheller dient, dazu hat Westenhöfer eine andere These: Er vermutet, dass die schokoladige Befriedigung auf einem Lernprozess aus der Kindheit beruht und dass der beglückende Effekt der zartschmelzenden Tafeln nicht physisch, sondern psychisch ist.

Um diese These zu überprüfen, will ein Forscherteam der Fachhochschule nun die Schokoladen-Sucht untersuchen und ruft deshalb „Schokoholics“ zur Teilnahme auf. Ziel der Studie ist nicht allein, die Ursachen dafür zu klären, sondern auch Wege aus der Abhängigkeit für die Betroffenen zu finden (taz berichtete). Wer sich von dieser „Sucht“ hingegen gar nicht befreien lassen will, sollte die geliebte Schokolade ohne schlechtes Gewissen genießen, damit sie effektiv die Stimmung heben kann!

Nahrung als Stimmungsaufheller: Essen macht Laune (Dr. Friedhelm Mühleib, Gräfe & Unzer, 95 S., 19,90 Mark); Schokoholic-Studie: Prof. Westenhöfer, FH Hamburg, Lohbrügger Kirchstr. 65, Buchtipp für wahre Schokoholics: Das große Buch der Schokolade (Teubner Edition, 238 S., 128 Mark).

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