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Mit Mentoring an die (Männer-)Macht

Die Frauen der Bündnisgrünen haben verstanden: Mit der Quote allein kommen sie nicht weiter. Nun sollen Methoden der Nachwuchsförderung aus der freien Wirtschaft beim Weg nach oben helfen ■ Von Heide Oestreich

Berlin (taz) – „Stell mich doch mal dem Bütikofer vor“, bat neulich ein Parteifreund die junge Grüne Anna Fleischmann. Zufällig kennt die Studentin den Bundesgeschäftsführer ihrer Partei aus Heidelberg. Sie war verblüfft – über etwas, das ihre männlichen Kollegen wahrscheinlich für die normalste Sache der Welt halten: Kontakte knüpfen, Kontakte nutzen. „Das hätte ich umgekehrt nie gemacht“, sagt Fleischmann. Und bestätigt damit das Klischee: Männer basteln strategisch an ihrer Karriere, Frauen rutschen irgendwie hinein. Trotz Quote.

Mit der Quote allein kommen Frauen nicht mehr weiter, analysierte die Berliner Fraktionschefin Renate Künast Ende letzten Jahres. Damals rieben sich die Frauen der Regierungsparteien verwundert die Augen, weil sie sich nach kurzem Postengerangel mehrheitlich in der zweiten Reihe wiederfanden. Die wichtigen Entscheidungen, so bemerkte Künast im Spiegel, fallen in einem Männerbiotop: dem Kaminzimmer, „dem letzten Refugium einer unverfälschten Männerkultur“.

Das Kaminzimmer ist ein Symbol: eine Hausmacht haben, Seilschaften aufbauen, hinter den Kulissen Strippen ziehen. Das will gelernt sein. Wenn Frauen dank Quote von der Basis hochkatapultiert werden, wie Antje Radcke, oder von der Grundschule Flöha weg eine Blitzkarriere machen wie Gunda Röstel, ist die Zeit, das Taktieren zu lernen, kurz bemessen.

Aber auch sturmerprobte Politikerinnen schrecken vor dem letzten Schritt in die Kaminzimmer zurück: Macht ausüben ist schlecht, fundierte Sachpolitik machen ist gut. Damit kann man es prima zur Fachfrau für Mietpolitik bringen, seltener allerdings auf einen Ministerinnensessel. Wenig erfahrene Quotenfrauen, machtabstinente Fachpolitikerinnen – und die Kaminzimmer bleiben Herrenzimmer.

Die jungen Frauen im Grün-Alternativen Jugendbündnis (GAJB) wollen nicht mehr irgendwie hineinrutschen in die Politik – sie sind Kinder ihrer Zeit: Die neue deutsche Jugend überlässt ihre Zukunft nur noch ungern dem Zufall. Nadja vom Scheidt will deshalb die Frauenpolitik um aktive Nachwuchsförderung ergänzt wissen: „Es reicht nicht, Ämter zu fordern, man muss auch darauf vorbereitet sein.“

Mentoring heißt die Medizin, entliehen von der Nachwuchsförderung für Manager in der Wirtschaft. Dies sollte eigentlich in einer Partei selbstverständlich sein, doch während die Frauen unter ihren männlichen Parteifreunden den Klüngel sprießen sahen, machten sie mit ihren eigenen GönnerInnen merkwürdige Erfahrungen. Etwa Ramona Pop vom GAJB: „Die Männer sind ganz wild darauf, jungen Frauen ihr Weltbild überzuhelfen. Aber nur so lange, wie ich mit ihrem politischen Flügel gestimmt habe. Wenn man einen eigenen Kopf entwickelte, wurde man fallen gelassen.“ Und die frauenbewegten älteren Kolleginnen? „Die hatten kein Interesse. Manche haben sogar gesagt: Wir hatten es früher auch schwer, warum sollt ihr es leichter haben?“

Also packten die Youngsters 19 alte Kämpinnen per Programm bei ihrer frauenpolitischen Ehre. Seit Anfang Dezember haben Künast, Radcke, die EU-Abgeordnete Heide Rühle, die MdBs Michaele Hustedt und Gila Altmann oder die frauenpolitische Sprecherin der Partei, Angelika Albrecht, für neun Monate je eine Mentee zu betreuen. 19 junge Parteifrauen, die bei den Grünen etwas werden wollen, wurden ausgesiebt.

Chancen hatten nur diejenigen, die relativ konkrete Ziele vor Augen hatten: Ramona Pop will mit Renate Künast effektive Jugendarbeit für die Berliner Grünen planen. Michaele Hustedt, energiepolitische Sprecherin der Grünen, berät eine Studentin der Energietechnik. Jetzt planen sie, deren Diplomarbeit karrieretauglich anzulegen – kein Orchideenthema, sondern die Frage, wie man die Herkunft des Stroms verschiedener Anbieter offen legen kann, wird das Thema sein. In einem Vertrag legen die Tandems fest, was genau sie voneinander wollen, wie oft sie sich treffen, welches konkrete Projekt die jungen Frauen angehen werden.

Die neue Verbindung von Frauen- und Fachpolitik scheint zu klappen: „Ich habe mit grüner Frauenpolitik sonst nicht so viel zu tun“, gibt die Energiepolitikerin Hustedt freimütig zu, „aber dieses Ding hier ist anders, das ist moderne Frauenpolitik.“ Sie hat ihre Mentee als erstes „zu so einer Klüngelrunde“ geschleppt: zum Energiewirtschaft-Arbeitskreis des BDI. „Als ich da ankam, war sie schon mitten im Gewühl und machte Kontakte“, erzählt Hustedt.

Auch Ines Eichmüller aus Nürnberg, Sprecherin des GAJB in Bayern, hat konkrete Wünsche an ihre Mentorin Gila Altmann: „Ich habe schon auf unsere Schule ein Solardach draufgesetzt“, erklärt Eichmüller, „jetzt will ich fachlich weiter einsteigen.“ Gleich nach dem Abi wird sie zwei Monate bei Altmann im Umweltministerium hospitieren.

Die Mentorinnen zu finden war nicht leicht. Sie fürchten um ihre kostbare Arbeitszeit. So wedelt Heide Rühle schon bei der Einführungsrunde warnend mit dem Handy: „Wenn das hier zu sehr formalisiert wird, dann wird mir das zu viel, dann mach’ ich nicht mehr mit“, lässt sie wissen. Und rauscht aus dem Saal, bevor noch feierlich die Unterlagen übergeben sind. „Heide, Heide, deine Mentoring-Mappe!“, rufen die Organisatorinnen hinterher. Von draußen hört man noch einen halben Satz, der auf „mitschleppen“ endet.

Wie sie sich denn die Zusammenarbeit mit ihrer Mentorin konkret vorstellt, wird später ihre Mentee gefragt. Die nimmt's gelassen und erzählt von geplanten Besuchen in Straßburg und Brüssel. Erst mal muss sie sowieso fertig studieren. Und dann will sie in die internationale Politik. Die ja bekanntlich auch in Kaminzimmern gemacht wird.

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