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Teuflisch gut geschrieben

■ Slam Poetry ist hip, selbst bei Sat 1-ARD-RTL. Jetzt ist ein selbstkritisches Buch über diese Literatur-Szene erschienen. Präsentation ist heute in Günther Kahrs Keller-Klub

Sie schimpfen auf den Literaturbetrieb und schreiben doch selbst. Bei Slam-Poetry-Lesungen lassen sie sich ausbuhen oder feiern. Sie sind LiteratInnen, das genaue Gegenteil oder beides zugleich. Auf die Form kommt es nicht an. Auf den Inhalt auch nicht immer. Denn sie schlagen den „Social Beat“. Und wenn es all die Chaddes, HELs, Headhunters und Hartges nicht persönlich zu etwas gebracht haben: Ihre neue soziokulturelle Bewegung (oder so) ist eines der Phänomene der 90er Jahre. Selbst Sat 1-ARD-RTL haben schon darüber berichtet, wie es in den Kellern abgeht. Es ist nämlich noch viel heftiger als in den Talkshows, wenn da eine Germanistik-Studentin von der Bühne gepfiffen wird oder ein alkoholisierter Typ ohne Zähne seinen Text aus einer Aldi-Tüte zur Lesung herauskramt. Alles nur Show oder was? „Sowohl als auch“ würden wohl Boris Kerenski und Sergiu Stefanescu antworten. Denn die beiden haben jetzt die erste Monographie zur „Neuen deutschen Szene“ namens „Kaltland Beat“ veröffentlicht, die heute in Günther „Meister Propper“ Kahrs Keller-Klub präsentiert wird.

Auf den ersten Blick ist das Buch eine Zumutung, auf den zweiten wimmelt es nur so von Überraschungen. In Kleinstschrift gesetzte Bleiwüsten und zitathafte Anleihen bei den dauerstrapazierten HeldInnen dieser Szene – namentlich den DadaistInnen, bei Allen Ginsberg oder den unvermeidlichen B.s (Burroughs und Bukowski) – bestimmen das Erscheinungsbild dieses Buches. In einer Einleitung darf Peter O. Chotjewitz (mal wieder) darlegen, dass es Alles schon mal gegeben hat – „Slam Poetry ist nix Neues.“ Aber immerhin ist dieser Text klasse geschrieben. Und um es mit den Herausgebern zu sagen: „Nicht alle der über 150 abgedruckten Texte spiegeln unsere Sichtweise wider. Die Schönheit des Untergrunds wird manchmal eben von seiner Frechheit, seiner politischen Unkorrektheit und gelegentlich seinem grausigen Realismus ausgemacht.“ Doch: „Was tun, wenn böse Texte teuflich gut geschrieben sind?“

Abdrucken! Kann da nur die Antwort lauten. Denn es sind genau diese bösen Texte, die das Buch teuflisch gut machen. Da reflektiert etwa eine Kersten Flenter über ihre Karriere als Unterground-Literatin, die sie ganz schnell in die Zwischenzone von Keller und – in der Szene oft rituell verhasstem – Literaturbetrieb führte. Oder ein Marc Degens, der Herausgeber einer Szene-Zeitschrift, rechnet mit dem Off-Betrieb schonungslos ab. „Es ist so, dass die Masse der Menschen, die glaubt, tief im Inneren ein Schriftsteller zu sein, bei weitem die Anzahl der Personen übersteigt, die sich überhaupt ernsthaft mit Literatur beschäftigt“, schreibt er. Das Herumdreschen auf dem Feindbild Literaturbetrieb entlarvt er als Attitüde, den weit verbreiteten Verzicht auf formale Ausgestaltung der Texte sieht er als Gefahr für die persönliche literarische Weiterentwicklung. Allerdings bezieht er sich vor allem auf die Social-Beat-Literatur in gedruckter Form und den kaum stattfindenden Diskurs darüber. Bei den Slam-Poetry-Lesungen sind sofortige Publikumsreaktionen dagegen gerade das Besondere. Trotzdem gilt: Da stellt mal einer die Qualitätsfrage – womit sich bei den Social-Beat-LiteratInnen ein Prozess wiederholt, der in der übrigen Soziokultur schon ein Jahrzehnt eher stattgefunden hat.

Aus dem Nebeneinander von literarischen Texten und kritischen bis selbstkritischen Reflexionen erwächst die Qualität dieser Monographie. Kleine Glanzstückchen und nervig-attitüdenhafte Beiträge wechseln einander ab. Zusammen mit den reflektierenden bis soziologischen Aufsätzen geben sie dem Buch eine Spannung, die den „Kaltland Beat“ schnell immer heißer schlagen lässt. ck

„Kaltland Beat – Neue deutsche Szene“, Ithaka-Verlag, Stuttgart 1999, 39,80 Mark; Buchpräsentation heute, Samstag, um 21.33 Uhr im Keller-Klub, Weberstraße 44

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