: Die Gitarrenbauer von Paracho
Europäische und indianische Musiktradition: In einer kleinen Stadt in Mexiko entstehen Instrumente von großer Qualität
Zu Mexikos Touristenattraktionen zählt Paracho mit Sicherheit nicht. Der 20.000 Einwohner zählende Ort liegt inmitten des zentralmexikanischen Hochlandes. Mit seinen bewaldeten Bergen und dem gemäßigten Klima sieht das Gebiet dem sächsischen Mittelgebirge erstaunlich ähnlich. Tatsächlich gibt es auch Gemeinsamkeiten. In beiden Regionen wusste eine handwerklich geschickte Bevölkerung die Holzvorkommen zu nutzen. Sie fertigte Musikinstrumente an, und zwar so gut, dass die Nachfrage beständig stieg und die Handwerker Weltruhm als Musikinstrumentenbauer erlangten. Kleine Dörfer wie Paracho im mexikanischen Bundesstaat Michoacán und Markneukirchen im sächsischen Vogtland entwickelten sich zu Zentren der Musikinstrumentenindustrie.
Angefangen hat es jeweils im 17. Jahrhundert. Böhmische Protestanten, die vor der Gegenreformation nach Sachsen geflüchtet waren, brachten den Markneukirchenern die Kunst des Geigenbaus bei.
Auch Parachos erste Musikinstrumentenhersteller waren Flüchtlinge, Purépecha-Indianer, die vor der Grausamkeit der spanischen Kolonialherren in die Berge geflüchtet waren. Die Franziskaner, beeindruckt von deren Geschicklichkeit, förderten die Handwerkskunst. In Paracho, wo auch Möbel und Holzspielzeug geschnitzt wurden, dominierte bald der Musikinstrumentenbau. Heute ist Paracho das Zentrum des mexikanischen Gitarrenbaus, nach Meinung seiner Einwohner sogar die „Welthauptstadt des Gitarrenbaus“.
In fünfzehn Fabriken werden pro Monat 30.000 Gitarren hergestellt. Hinzu kommen die unzähligen, in 600 Werkstätten manuell gefertigten Instrumente. Keine Familie, in der nicht mindestens ein Mitglied – wenn nicht gar alle – beruflich mit Musikinstrumenten zu tun hat, sei es als Gitarrenbauer, Fabrikarbeiter oder Händler.
Von der 20 Mark teuren Fabrikgitarre bis zum hochwertigen Konzertinstrument, das sich in der Regel kein Mexikaner leisten kann, findet man in Paracho alles. 2.500 bis 3.500 US-Dollar muss man für ein erstklassiges Instrument, von denen ein Meister maximal vier pro Monat baut, ausgeben. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen in anderen Teilen der Welt benutzen Parachos Gitarrenbauer so gut wie keine Maschinen. „Trotzdem sind wir konkurrenzfähig“, sagt Abel Garcia López, einer von ihnen, und rechnet an einem Beispiel vor: „In einer Fabrik in Singapur stellen 1.400 Arbeiter pro Monat 30.000 Gitarren her, das heißt, auf einen Arbeiter entfällt weniger als eine Gitarre pro Tag. In Paracho baut eine Person täglich zwei Gitarren, und zwar von der gleichen Qualität wie in Singapur.“ Denn: „Die Leute hier haben eine viel größere manuelle Kunstfertigkeit, ein gewisses Genie.“ Und vor allem: „Um gute Gitarren zu bauen, braucht man ein feines Gehör.“
Seit 1995 findet im Rahmen des Festival Cultural de la Guitarra ein Gitarrenbaukurs für Nachwuchstalente statt. In den ersten beiden Jahren kamen José Luis Romanillos, einer der besten Gitarrenbaumeister Spaniens, und Thomas Humphrey aus den USA, um 14 Tage lang den Parachenser Nachwuchs zu unterrichten.
Stadtbekannt in Paracho ist Abel Garcia López wegen der erstklassigen Qualität seiner Gitarren. Sein besonderes Interesse gilt jedoch den vom Aussterben bedrohten Folklore-Instrumenten der Purépecha. Seit über 150 Jahren werden sie nicht mehr gespielt, niemand fertigt sie mehr an. Einige davon, wie die guitarra sirincho – was so viel heißt wie platt gedrückt, gequetscht –, baute Garcia López nach.
Der Nachbau dieser Instrumente ist Teil eines umfangreicheren, vom Bundesstaat Michoacán geförderten Projekts. In den Zupfinstrumenten der Purépecha haben sich indianische und europäische Instrumentenbautraditionen vermischt.
In den kleinen Familienbetrieben von Paracho führt seit Generationen der Sohn, der oft schon als 13-Jähriger seine erste eigene Gitarre gebaut hat, das Handwerk des Vaters fort. Der Gitarrenbau liegt fast ausschließlich in Männerhand. Frauen üben nur wenige Tätigkeiten aus, darunter das Schmirgeln, Lackieren und Polieren. Eine Zeitlang galt einheimisches Holz als minderwertig, und die Gitarrenbauer importierten Holz aus Brasilien oder Deutschland. Das hat sich inzwischen wieder geändert. Abel Garcia López zum Beispiel benutzt mehr mexikanisches als importiertes Holz. „Man kann sowohl mit in- als auch mit ausländischen Materialien gute Gitarren bauen“, ist seine Meinung. Diese Erkenntnis scheint bis nach Deutschland vorgedrungen zu sein, wohin er mittlerweile auch Instrumente verkauft.
Almut Wilske
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