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Engel warnen vor dem Suff

■ Rasende Jungmänner machen Brandenburger Alleen unsicher. Seit Jahren rangiert das Land in der Verkehrstoten-Statistik vorn. Weibliche Schutzengel sollen Raser besänftigen

Wer Berlin verlässt, begibt sich in eine gefährliche Zone. Nicht nur dass Ausländer, Schwule oder Punker regelmäßig von Rechtsextremisten überfallen werden. Auch brave Autofahrer sind gefährdet. Kaum ein Wochenende vergeht, ohne dass es in den Polizei-Nachrichten heißt: Wieder drei, fünf oder zehn Personen tödlich verunglückt. Trauriger Höhepunkt des Jahres war des erste Adventswochenende: 15 Menschen starben auf Brandenburger Straßen. Seit Jahren hat das Land in der Bundesstatistik der Verkehrstoten einen Spitzenplatz (siehe Kasten).

Jörg Schönbohm (CDU), Brandenburgs neuer Innenminister, verkündet dennoch eine frohe Botschaft: Insgesamt gehe die Zahl der Verkehrstoten zurück. Auch 1999 werde sich dieser positive Trend des Vorjahres fortsetzen, dies ließen die bisher vorliegenden Zahlen vermuten, so Schönbohm.

Die anhaltend hohen Unfallzahlen sind hauptsächlich auf zu schnelles Fahren, häufig unter Alkoholeinfluss, zurückzuführen. Ein anderes beliebtes Argument der Verkehrsexperten, die hohe Zahl der Verkehrstoten zu erklären, sind die kilometerlangen Alleen, touristisches Wahrzeichen Brandenburgs. Die Bäume erhöhten zwar nicht das Unfallrisiko, sie verschlimmerten die Unfallfolgen jedoch erheblich, analysierte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft in einer jüngst vorgelegten Studie. Bundesweit habe 1998 der volkswirtschaftliche Schaden durch Baumunfälle rund 4,7 Milliarden Mark betragen, beklagt sich der Versicherungsverband.

Dennoch wird kaum noch gefordert, die Bäume in großem Stil abzuholzen. „Keiner denkt daran, den Charakter unserer Alleen zu ändern“, sagt der Sprecher des Brandenburger Innenministeriums, Manfred Füger. Er möchte sich lieber mit aufklärerischen Aktionen an die Hauptproblemgruppe der Unfallverursacher wenden: junge Männer unter 25 Jahre. Fast die Hälfte aller Unfälle mit Todesfolge geht auf ihr Konto. Gefährlichste Zeit: die so genannten Disko-Nächte, in denen betrunkene Jungmänner über die Landstraßen rasen.

Bernd Ammon, Referatsleiter im Potsdamer Verkehrsminsterium, kennt die Motive: „Die jungen Männer wollen Grenzerfahrungungen sammeln und vorgegebene Normen brechen.“ Die Risikobereitschaft sei in dem Alter besonders hoch, hinzu komme ein pubertäres Imponiergehabe.

Dagegen setzen die Brandenburger Verkehrsexperten ein einfaches Konzept: hübsche Frauen. Seit einem Jahr ziehen jedes Wochenende so genannte Schutzengel durch die Diskotheken: weiß gekleidete Frauen mit blauer Perücke und goldenen Flügeln. Die erklären den Jungs, dass es besser ist, nicht besoffen Auto zu fahren. Die Aktionen, an denen im nächsten Jahr mehr als zwanzig statt bisher zehn Engelchen teilnehmen sollen, kommen nach Ammons Angaben sehr gut an. Der Grund: „Die Mädels sehen einfach top aus.“ Die Schutzengel, die lediglich eine Aufwandsentschädigung erhalten, verteilen nebenbei Telefonkarten an die Disko-Besucherinnen. Damit sollen sie ein Taxi oder einen anderen nüchternen Fahrer herbeirufen können.

Auch im Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern bemüht man sich um die Tanz- und Trunksüchtigen. „Wir haben eine große Disko-Tour gemacht, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Brauerbund“, sagt eine Sprecherin des Schweriner Verkehrsministerium. Dort würden dann Fifty-fifty-Tickets fürs Taxi verteilt – die Disko-Gänger zahlen nur die Hälfte, den Rest übernehmen Sponsoren. Und die Bahn stellt kostenlose Sonderzüge zu Diskos.

In Brandenburg gibt man sich optimistisch: Mit den Disko-Aktionen und anderen Maßnahmen – mehr Verkehrskontrollen, Umbau der Straßen, Installierung von Leitplanken – sei man auf dem richtigen Weg, betont Ammon.

Für den Autofahrerclub ADAC kommen aber die baulichen Maßnahmen nicht schnell genug voran. „Es muss endlich ein Sonderfonds für sicheren Straßenausbau her, denn die bisher bereitgestellten Mittel reichen bei weitem nicht aus“, fordert Jörg Becker, Abteilungsleiter Verkehr beim ADAC Berlin-Brandenburg. Auch gegen Verkehrskontrollen hat Becker nichts einzwenden, wenn die Polizei diese auf bekannte Gefahrenstellen konzentriere.

Für Frieder Monzer, Vorstandmitglied im Brandenburger Verkehrsclub Deutschland (VCD), ist das nur der Tropfen auf den heißen Asphalt. „Wir sollten in der Gesellschaft endlich den Motorsport und den damit vermittelten Geschwindigkeitswahnsinn kritisieren“, sagt der alternative Verkehrsexperte. Geradezu kontraproduktiv sei es, wenn das Land den Bau der Formel-I-Rennstrecke Lausitzring fördere. Richard Rother

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