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Vor weiteren Razzien wird gewarnt

Mit einer aufwendigen Aktion im Berliner Mehringhof suchten Polizei und GSG 9 nach Terroristen und Sprengstoff. Nach dem „Verrat“ eines Kronzeugen ist die linksradikale Szene ratlos ■ Aus Berlin Uwe Rada und Sabine am Orde

Es sah aus wie eine Punktlandung. Fast zur selben Zeit, als der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, vor dem Wiedererstarken der Autonomen in der Hauptstadt warnte, verschafften sich andere Vertreter der Staatsgewalt Zutritt zum Kreuzberger Mehringhof. Fast 1.000 Polizeibeamte, darunter auch die Anti-Terror-Einheit GSG 9, suchten beim größten Polizeieinsatz in der 20-jährigen Geschichte des Mehringhofs nach Waffen und Sprengstoff und nahmen zwei Projektmitarbeiter als mutmaßliche Mitglieder der „Revolutionären Zellen/Rote Zora“ (RZ) fest.

In den vergangenen Jahren war es um das einst als Hochburg der Autonomen verschrieene Projekt still geworden. Doch die „revolutionäre“ Vergangenheit hat Berlin eingeholt. Auf autonomen Vollversammlungen gibt es nun keine freien Plätze mehr, die Szene erinnert sich der Beinschüsse auf „uneinsichtige“ Asylrichter, und die Ermittlungsbehörden freuen sich, nach der RAF und der Bewegung 2. Juni nun auch die RZ zur Strecke zu bringen.

Ganz so einfach lassen sich die Achtzigerjahre aber dennoch nicht auf die Gegenwart übertragen. Nicht nur, dass die Delikte mittlerweile verjährt sind und die Bundesanwaltschaft die Festgenommen deshalb „nur“ noch der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bezichtigen kann. Das Problem ist auch die linksradikale Szene selbst.

Vor zehn Jahren wären die Razzia im Mehringhof und die Festnahmen noch der Stoff gewesen, aus dem Helden sind. Doch nun dürften sich Axel H. (49), Harald G. (51) und die zeitgleich in Frankfurt festgenommene Sabine E. (53) ziemlich einsam fühlen.

Nachdem ein Ermittlungsrichter die Haftbefehle gegen die drei bestätigt hatte, wurden die mutmaßlichen RZ-Aktivisten auf Knäste in Düsseldorf, Frankfurt und Wuppertal verteilt. Neben dem Vorwurf der terroristischen Vereinigung werden Harald G. und Sabine E. beschuldigt, an einem Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Berlin beteiligt gewesen zu sein. Axel H., der im Mehringhof als Hausmeister arbeitete, soll ein Sprengstoffdepot betreut haben. Nach dem suchte die Polizei am Sonntag allerdings vergeblich. Stattdessen verursachte die polizeiliche Durchsuchung hohe Sachschäden von schätzungsweise 100.000 Mark.

Schwer dürfte die drei Festgenommenen der Umstand treffen, der zu ihrer Verhaftung führte. Tarek M., der bereits im November ebenfalls als mutmaßliches Mitglied der RZ festgenommen wurde, soll laut G.s Anwältin von der Kronzeugenregelung Gebrauch gemacht haben. Gegenüber dem schwer wiegenden Vorwurf des Verrats hält sich die Szene zwar offiziell noch zurück. Intern wird freilich schon vor weiteren Razzien gewarnt. Bei Tarek M., einem Berliner Kampfsportlehrer, haben viele Autonome ihre „Grundausbildung“ absolviert. Seine Anschuldigungen sollen nun nicht nur zu den Verhaftungen vom Sonntag geführt haben. Er soll auch noch weitere 50 Namen genannt haben, die im Zusammenhang mit militanten Aktionen in Berlin stehen.

Die Bundesanwaltschaft dürfte sich ob dieses Mitteilungsbedürfnisses die Hände reiben. Immerhin konnten die Karlsruher Behörden bis zu diesem Jahr keine Fahndungserfolge gegen die unabhängig voneinander agierenden „Revolutionären Zellen“ vorweisen, von denen sich die meisten 1992 aufgelöst hatten.

Das änderte sich im Mai diesen Jahres schlagartig, als der in Frankreich festgenommene Hans-Joachim Klein an die deutschen Behörden ausgeliefert wurde. Seit der Festnahme des ehemaligen Weggefährten von Außenminister Joschka Fischer und mutmaßlichen RZ-Mitglieds bröckelt auch der Mythos vom Erfolg der in der Szene populären „Zellen“.

Kaum nämlich war Klein im Knast, beschuldigte er seinen politischen Mitstreiter Rudolf Schindler, bei einem der ersten Anschläge der RZ mitgemacht zu haben: dem Attentat auf die Opec-Konferenz in Wien im Jahr 1975.

Dass Aussagen gegenüber der Bundesanwaltschaft nun auch in Berlin zu Verhaftungen geführt haben, erklärt man sich in Szenekreisen auch damit, dass die Kronzeugenregelung Ende des Jahres ausläuft.

Doch Verfassungsschutzchef Frisch braucht sich keine Sorgen zu machen, dass die Hauptstadt wieder vom „revolutionären“ Geist der Achtzigerjahre erobert wird. Bei einer Zusammenkunft der linksradikalen Szene am Montagabend hatten einige jüngere Aktivisten auf die Frage, was nun zu tun sei, eine Spontandemo vorgeschlagen. Daran beteiligten sich zwar auch 150 Leute, doch die Ratlosigkeit überwog.

Viele wissen nun nicht, worüber sie sich mehr aufregen sollen: über den Polizeieinsatz im Mehringhof oder die Aussagen des ehemaligen Genossen und Kampfsportlehrers.

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