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Rechtsprechung nach dreizehn Jahren der Spekulation

Die Gerichte haben das Verfahren nicht verschleppt. Verjährung kommt nicht in Betracht

Die Suche nach dem Recht kippt irgendwann um in Rechthaberei.“ Der renommierte Gießener Kriminologe Arthur Kreuzer hätte am liebsten ganz auf einen erneuten Prozess gegen Monika Weimar verzichtet. Nach zwei Prozessen, argumentiert er, bestehe kein gesellschaftliches Bedürfnis mehr, „den Rechtsfrieden herzustellen.“

Im Strafgesetzbuch findet sich für eine solche Sichtweise derzeit keine Grundlage. So ist bei Mord schon die Verjährung ausgeschlossen. Hier will der Gesetzgeber generell den Strafanspruch nicht aufgeben. Diese Regelung gilt übrigens erst seit dem Jahr 1979 und wurde im Zusammenhang mit der drohenden Verjährung von NS-Verbrechen beschlossen.

Doch selbst wenn es eine Verjährungsfrist für Mord gäbe, könnte sie im Fall Weimar nicht greifen. Schließlich wurde ja von vornherein gegen die Mutter der beiden getöteten Mädchen ermittelt. Hier ist also nie „Gras über die Sache gewachsen“.

Zu denken wäre eher an eine Milderung der Strafe wegen überlanger Verfahrensdauer. Dass ein Strafverfahren „angemessen beschleunigt“ werden muss, ergibt sich nicht nur aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, sondern auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Gegen dieses Prinzip wird allerdings nur verstoßen, wenn Gerichte und Strafverfolgungsbehörden bummeln oder gar absichtlich das Verfahren verschleppen.

Ein solcher Vorwurf ist der Justiz im Fall Böttcher bisher nicht zu machen. Der lange Zeitabstand zur Tat ergibt sich vor allem daraus, dass Monika Böttcher nach der ersten Verurteilung sieben Jahre Haft verbüßte und erst dann eine Wiederaufnahme erreichte. Die weiteren Verfahrensschritte – neue Hauptverhandlung, Revision, dritte Hauptverhandlung – wurden relativ zügig durchgeführt.

Bleibt die Frage, ob nach dieser Zeit noch ein sinnvoller Strafprozess möglich ist, ob sich Zeugen nach so vielen Jahren wirklich noch erinnern können. Letztlich muss das Gericht abwägen, ob es sich noch von der Schuld der Angeklagten überzeugen kann oder doch lieber „im Zweifel für die Angeklagte“ entscheidet.

Wenn Arthur Kreuzer nun fordert, nach einer erfolgreichen Wiederaufnahme die Revision gegen einen Freispruch gesetzlich auszuschließen, scheint das recht willkürlich. Die erneute Revision zum Bundesgerichtshof (BGH), die Weimars Verteidiger Gerhard Strate angekündigt hat, wird im Übrigen wohl kaum Erfolg haben. Der BGH müsste schon Rechts- oder grobe Logikfehler entdecken. Eine andere Würdigung der Beweise ist in der Revisionsinstanz nicht möglich. Christian Rath

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