Jau, jau, Bacalhau, und auch noch Saudade

„Ja, wer das Schifferklavier an Bord erklimmt, der wird ganz bestimmt ein Portugiese sein ...“ – weihnachtliche Abenteuer in Lissabon, Teil eins

Heiligabend stand das Christkind in der Tür. Es war um die 50, hatte einen hübschen Ranzen und lächelte über das ganze Gesicht. „Wie sieht’s aus? Gehen wir was essen?“ Vincent Klink füllte die Zimmertür des ‚Tivoli Jardim‘ in Lissabon. Er sah aus wie ein Mönch, der sich gerade gemeinsam mit einer schönen Laienschwester den Bauch vollgeschlagen hat, aber Stein und Bein schwören würde, dass ihm unter allen Gelübden gerade die des Fastens und der Keuschheit die liebsten und heiligsten seien.

Der Mann hatte im Flugzeug gegessen und war entsprechend hungrig. Auch Frau Aldenhoven, die eben noch madenschläfrig im Bett gelegen und zu den Stimmen eines Abenteuerhörspiels gedöst hatte, wurde schlagartig wach, als sie das Zauberwort hörte. „Essen? O ja!“ rief sie, striegelte sich wie Jolly Jumper und stand in Nullkommanichts parat. So zog die Heilige Familie los. Frau Aldenhoven war Josef, ich war Maria, Herr Klink war das Jesuskind, und alle hatten Appetit.

Wir liefen Richtung Tejo; ich wusste ein kleines Fischrestaurant, in dem ich einmal mit Gisela Güzel einen himmlischen Abend verbracht hatte. Frische Krustentiere hatten wir verspeist, Vinho verde getrunken und dem Koch auf seine Frage, woher wir kämen, erklärt, dass er jeden Berliner, der bei ihm einmal „Jejrillte Jambas, wa!“ zu bestellen wagen würde, augenblicklich notschlachten, einpökeln und als Bacalhau, als Trockenfisch verkaufen dürfe, denn schlimmer als Bacalhau könne nicht einmal ein berlinernder Berliner schmecken. Da aber unser Portugiesisch aus wenig mehr als „jao“ und „nao“ bestand, hatte der Koch unseren Vorschlag ebenso wenig verstanden wie die bei Monty Python’s Flying Circus entliehene Zeile „Mein Luftkissenboot ist voller Aale!“ Dennoch hatte er uns Aguardiente eingeschenkt, und da wir das portugiesische Wort „chega“ (= genug) ebenso wenig kannten wie die Landessitte, durch eine eichstrichartige Handbewegung zu bedeuten, dass die Portion ausreichend sei, goss er die Gläser voll bis zum Rand. Es waren große Gläser.

Als sie zum dritten Mal geleert waren, überfiel den Koch die Saudade, die portugiesische Wehmut. Nun musste ein Fado gesungen werden, ein Lied, das sich gewöhnlich um die portugiesischen Topoi Saudade, Fado und Lisboa dreht und mächtige Sehnsucht nach noch mehr Sehnsucht auslösen soll. Wir wurden gebeten, ebenfalls etwas zu singen. „Der Portugiese / ist kein Riese“, begann Gisela Güzel mit Siebenjährigenstimme, und ich stimmte ein Matrosenlied an, das dem Volk der tapferen Besegler der sieben Meere gefallen musste: „Ja, wer das Schifferklavier an Bord erklimmt, der wird ganz bestimmt ein Portugiese sein ...“ Der Koch, ergriffen bis hinab zu seinen hochhackigen Schuhen, nickte und weinte; seine Tränen waren reines, ehrliches Aguardiente. Von den Wänden kam ein Echo zurück: “-giese sein, -giese sein ...“

Dann hatten wir die Pensao aufgesucht, das Zimmer gefunden und stürmisch betreten. Als ich mich im Bad nur leicht auf das Waschbecken stützte, denn Stützung brauchte ich, hatte ich auf einmal – ich kann es mir bis heute nicht erklären – das Waschbecken in der Hand. Aus der Wand spritzte ein mächtiger Wasserstrahl; flüchtend sprang ich, das Waschbecken in der Hand, auf den Rand der Dusche und rief um Hilfe. Frau Güzel kam auch sofort gelaufen, half aber nicht gleich, sondern musste erst losprusten und Fotos machen. Schließlich holte sie doch die Wirtsleute, denen wir das Missgeschick und vor allem meine gänzliche Unschuld daran sehr schön und gestenreich erklärten.

Wiglaf Droste

(Montag: Das gekreuzigte Kaninchen)