Bremen wird zu Tode gespart

Wenn die Einschnitte der Sparpolitik noch tiefer werden, stellt sich die Frage, ob die Bevölkerung das Bemühen der politischen Klasse um die Erhaltung der Selbständigkeit weiter akzeptieren wird. Das sagt Erich Röper, über 20 Jahre Fraktionsgeschäftsführer der Bremer CDU-Fraktion. Heute ist er Rechtswissenschaftler am „Zentrum für europäische Rechtspolitik“ (ZERP) und Honorarprofessor an der Uni Münster. Als freier Kopf sorgt er sich um die Perspektiven der Politik der großen Koalition. Seine These: Nach em Ende des Sanierungshilfe wird Bremen vom Schuldenberg erdrückt wie am Anfang, die Sanierung wird so nicht gelingen. Sagt das niemand laut, weil alle in der Politik klammheimlich davon ausgehen, „dass 2005 alles vorbei ist“? Es gibt keine Rechtfertigung für die über alles vernünftige Maß hinausgehende Einsparungsszenarios, die Bremen zur Provinz machen würden. „Bremen muss seine Rolle im Bund neu definieren – mit, vielleicht in Niedersachsen“. Von Erich Röper

In fünf Jahren enden die Sanierungshilfen des Bundes für Bremen. Neue wird es nicht geben, trotz des strukturellem Haushaltsdefizit von DM 1,1 Mrd. Während aber für Großprojekte neue Schulden geplant sind, sollen die konsumtiven Ausgaben bis 2005 um jährlich DM 854 Mio. sinken, 2000 schon um DM 171 Mio. Gestrichen werden vor allem freie, nicht rechtlich fixierte Mittel. Starker Widerstand beginnt. Massive Proteste kommen aus Schulen, Kindergärten, Polizei. Zu den hohen Kürzungen im Kulturbereichlegte die Kulturinitiative Anstoß einen Fragenkata-log zu Ziel und Inhalt des Sparprogramms vor. Da die Einschnitte noch tiefer werden sollen, ist nicht absehbar, ob die Bevölkerung den Kampf um die Selbständigkeit weiter akzeptieren wird, zumal das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 11.11.1999 für einen Einigungsvertrag mit Niedersachsen befristete Sonderergänzungszuweisungen zulässt.

Bremen wird erdrückt von Schulden. Sie wurden im Sanierungszeitraum 1995/99 – anders als im Saarland – noch erhöht, von DM 17 auf 20 Mrd. mit Neben- und Schattenhaushalten. Nach der internen Begründung zum „Haushaltssicherstellungsgesetz“ sind als Nettokreditaufnahme ohne Sanierungsbeitrag 2000 DM 1,9216 Mrd. vorgesehen, 2001 DM 1,73 Mrd., alle Jahre bis 2004 degressiv neue Milliarden; ab 2005 jährlich „in Höhe der wirtschafts- und finanzstärkenden Investitionen“ von 14,2% des Etats weiter rund DM 1 Mrd. Die heutigen Zinsen entsprechen etwa dem strukturellen Defizit von jährlich DM 1,1 Mrd., mit den neuen Schulden werden sie ansteigen; Leasing-ähnliche Investitionsfinanzierung per Kapitaldienstfondsgesetz wird die Zukunft weiter begrenzen. Da Bremens Haushaltsautonomie den Grundgesetznormen über Steuerzuteilung und Finanzausgleich nachgeordnet ist, muss die Zulässigkeit der Schulden auch für Investitionen verfassungsrechtlich geprüft werden; ohnehin hält Bremen die verpflichtenden Maastricht-Kriterien nicht ein – oder zielt die Politik darauf, dass 2005 alles vorbei ist? Die vom Bundesverfassungsgericht am 11.11.1999 bestätigte Finanzverteilung beruht auf der Einwohnerzahl der Länder; für Bremen pro Kopf und Jahr rund DM 6.000. Der Verlust von 13.914 Bewohnern von 1995 bis Juli 1999 senkte die Finanzkraft um jährlich DM 84 Mio.; der Aderlass hält an – nur Ausländer verbessern den Wanderungssaldo –, so dass der Betrag steigt. Tatsächlich hat Bremen überproportional viele Berufseinpendler, netto 95.000; bei größerer Bevölkerung sind es in Hamburg 150.000, in Berlin fast 350.000. Ein Drittel der öffentlichen Bediensteten wohnt außerhalb des Landes – ein Staatsrat in Hamburg –, mit Familien über 30.000 Menschen; ihren Arbeitgeber kostet es jährlich rund DM 200 Mio. Um den Trend zu verstärken, soll eine Schnellstraße durchs Hollerland nach Lilienthal gebaut werden! Den Steuerbezugspunkt Arbeitsplatz statt Wohnort schließt das Bundesverfassungsgericht aus. Die „aus der Nettokreditaufnahme finanzierten konsumtiven Ausgaben“ von DM 853,8 Mio. sollen 2000 um DM 171,2 Mio. verringert, bis 2005 auf null gefahren werden, über 15% der nicht-investiven Ausgaben: Gehälter, Sozialhilfe, Unterhaltung der Schulen, Kindergärten, Straßen, Parks, Polizeireviere... und der wachsende Schuldendienst! Es gibt gewiss Sparpotentiale bei öffentlichen Leistungen, einige Standards sind noch zu hoch; sie zu kürzen, genügt nicht annähernd, um die Riesenlücke zu schließen. Da die meisten Ausgaben bundesgesetzlich oder rechtlich fixiert sind, müssen die „freien Mittel“ gestrichen werden; für Groß- und/oder Expo-Projekte ist das Geld da. Der Kahlschlag bei den Kultureinrichtungen zeigt, was auf die Menschen zukommen wird: Außer dem rechtlich Vorgeschriebenen geht nichts mehr! Bremen stirbt! Es gibt berechtigte Zweifel, ob die Bevölkerung das für die leere Hülle der Selbständigkeit mittragen wird.

Die Finanzplanung hat das Bundesverfassungsgericht am 11.11.1999 erschwert. Bremen muss Sonderleistungen wie „veredelte Einwohnerwertung“, Hafenlasten oder Kosten der politischen Führung schlüssig begründen; neue Länder haben ähnliche Ansprüche; der Kuchen der Bundesergänzungszuweisungen wird kleiner. Bremen wird kaum noch die bisherigen Mittel erhalten, davon DM 126 Mio. zur Finanzierung von Bürgerschaft, Senat, Obergerichten, Ministerialverwaltung, Landesaufgaben. Nötige – vor allem bei Bürgerschaft und Deputationen mögliche – Einsparungen durch Zusammenlegung von Obergerichten (wie beim Landessozialgericht), Ausbildungsstätten und Behörden mit denen Niedersachsens können also nicht zwingend zur Schließung der DM 853 Mio-Lü-cke dienen. Sie ist auch nicht durch neue Kürzungen unter der Ebene der politischen Führung zu schließen – Straffung von Verwaltungsabläufen, Schließung von Behörden und Ämtern. Finanzwirksam wäre der Verzicht auf Großprojekte wie Space- und Ocean-Park, Rhodarium oder Rennbahn (ihr volkswirtschaftlicher Wert steht in keinem Verhältnis zu den Kosten von weit über DM 1 Mrd. und sie machen das Land zum Freizeitpark der Republik), die Verlegung des Autoimports von Bremerhaven nach Bremen und ...

Entscheidend sind höhere Einnahmen. Relativ geringe Wirkung zur Lückenschließung hat die vielbeschworene Steigerung der Wirtschaftskraft. Zusätzliche Steuereinnahmen werden verrechnet mit dem vom Bundesverfassungsgericht am 11.11.1999 bestätigten Länderfinanzausgleich. Die größte Einsparung wäre bei der Sozialhilfe, falls eine boomende Wirtschaft Sozialhilfeempfänger in Arbeit bringt. Wichtig dafür sind nicht die Großprojekte, sondern Existenzgründungen vor allem, aber nicht nur bei neuen Technologien. Ein-sparungen und Zusatzeinnahmen werden mehr als kompensiert, wenn Jahr für Jahr Tausende ins Umland oder das übrige Deutschland umziehen. Bürgermeister Nölles Ziel waren 1995 zusätzlich 60.000 Arbeitsplätze und 50.000 Einwohner; um DM 300 Mio. hätten sie den Haushalt strukturell verbessert. Beides kam nicht zustande: Die Bevölkerung verminderte sich, was den Etat verschlechtert; die Zahl der „Erwerbstätigen am Arbeitsplatz“ fiel von 352.407 (1995) auf 343.079 (1998). Weiteren Exodus zu verhindern, wenigstens zu vermindern und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Klein- und Mittelunternehmen anzuregen, wäre der Beitrag zur Einsparung. Nur, die „Wirtschaftsförderer“ scheuen die Arbeit mit den vielen; sogar für das TÜV-Gelände in Hastedt wollen sie den soundsovielten Supermarkt in der Östlichen Vorstadt: Arbeitsmarktwirksame Klein- und Mittelbetriebe anzusiedeln, scheint zu schwierig. Neue Baugebiete in den Landesgrenzen sind ein Schritt; die Schnellstraße nach Lilienthal soll es jedoch noch bequemer machen, dorthin zu ziehen. Die bestehenden Wohngebiete lebendig zu halten oder zu revitalisieren, ist der andere. Das Gegenteil ist oft der Fall. Lkw-Führungsnetz und BAB-Zubringer durch Schwachhausen werden die Abwanderung sogar aus dem bevorzugten Stadtteil steigern. Das Kaputtsparen von Kindergärten und Schulen treibt junge Familien ins Umland. Das Fehlen von Richtern verhindert am Landgericht Wirtschaftskammern, so dass Firmen Hamburg als Gerichtsstandort wählen müssen. Der Zusammenbruch vieler kleiner Kultureinrichtungen, die Schließung von Sparten des Theaters wird Freiberufler und gehobenes Management an die Elbe umziehen lassen. Dass Politiker die dortige Kampnagel-Fabrik als Tournée-Spielort statt des heutigen Vierspartentheaters anpreisen, Exekutivführende meinen, für Ballett und Oper solle man nach Hamburg fahren, zeigt verantwortungslose Kulturferne. Die Konsequenz dieses politischen Handelns, dass Bremen und Bremerhaven Lebenswert und Zukunftsfähigkeit verlieren, ist in Bürgerschaft und Senat noch kein Gemeingut. Die über alles vernünftige Maß hinausgehenden Ein-sparungsszenarios werden Bremen zu tiefster „Provinz“ machen, die Auswanderung verstärken. Damit verlieren das Land und die Städte die Existenzkraft. Bremen muss seine Rolle im Bund neu definieren – mit, vielleicht in Niedersachsen nach Verhandlungen mit dem Bund über die dafür nötige und zulässige Entschuldung. Die Stellung in Niedersachsen und die Synergieeffekte mit dem Umland wären eine neue Zukunft. Allein die Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Nordwestdeutschland brächte der gemeinsamen Anstalt der beiden Länder netto fast 800 Mio. Gebühreneinnahmen, die der NDR Niedersachsen zugunsten Hamburgs vorenthält.

„eroeper@zerp.uni-bremen.de“