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Deutschland ohne seine CDU

Die Christdemokraten durch die Kohl-Affäre in ihrer größten Krise: Was wäre, wenn die Partei untergeht, fragen bereits die ersten. Ja, was wäre dann? Ein Bericht aus einer deutschen Zukunft ■ Von Jens König und Patrik Schwarz

Der Untergang der CDU erschüttert die Parteienlandschaft. Die SPD wählt Gerhard Schröder mit 103 Prozent noch einmal zu ihrem Parteivorsitzenden

Es ist der wohl stillste Moment in der Geschichte der deutschen Christdemokraten. Graupelschauer tauchen das Konrad-Adenauer-Haus in ein schmutziges Grau. Wie eine Trutzburg aus vergangenen Zeiten ragt das Hochhaus in den Abendhimmel. Die Lichter sind erloschen, die meisten Büros bereits leer geräumt. Als ein Referent dem Vorsitzenden Wolfgang Schäuble die gefaltete CDU-Fahne vom Dach der Parteizentrale in den Schoss legt, hebt ein einsamer Trompeter sein Instrument an die Lippen. Über den Autoverkehr an der vierspurigen Adenauer-Allee tönt dünn die Melodie „Ich hatt’ einen Kameraden“.

Wäre dies nicht die Beerdigung der einst staatstragendsten Partei der westdeutschen Republik, dann wäre die Szene komisch zu nennen. Es war Helmut Kohls Lieblingslied für ergreifende Momente, er hatte es ausgewählt für die Stunde seines ersten außenpolitischen Erfolgs, als er 1984 François Mitterand über den Gräbern von Verdun die Hand reichte. Jetzt erklingt es als letztes Geleit für die Partei, die seit einer Generation die seine war. So zeigt die Melodie wohl auch: Die CDU kommt nicht los von dem Mann, der sie über 25 Jahre zu höchsten Höhen geführt hat – und sie jetzt ins Grab brachte.

An Angela Merkel hat es jedenfalls nicht gelegen. Bis zuletzt hat sich die Generalsekretärin mit einer Vehemenz gegen die Auflösung der CDU gestemmt, die ihr unter Getreuen den Ehrennamen „Angela Löwenherz“ eintrug. Aufklärung hat sie versprochen und unzählige Male das Wort „rückhaltlos“ gebraucht. Hat beteuert, die Partei sei integer, und zuletzt sogar durchblicken lassen, dass das auf ihren Ziehvater Helmut Kohl vielleicht nicht immer zutraf. Bis der Bescheid der Bundestagsverwaltung eintraf und alle Rettungsbemühungen zunichte machte.

Auf 264.814.244 Mark und 16 Pfennig belief sich die Forderung nach Rückzahlung widerrechtlich beantragter Steuergelder, Strafzuschlag inklusive. Erstmals kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache eine Zahl zum „Wort des Jahres“. Zwei Monate später stellt CDU-Schatzmeister Matthias Wissmann beim Landgericht Bonn den Konkursantrag. „Unser Werte bestehen fort“, lässt Parteichef Schäuble schriftlich erklären, „und darum werden auch wir fortbestehen.“

Was danach passiert, war der CDU für die Zeit nach Helmut Kohl schon oft prophezeit worden: Die Partei spaltet sich in ihre ursprünglichen Flügel auf. Von Norbert Blüm ist zu hören, dass sich unter seiner Führung eine Sammlungsbewegung Aufrechter Sozialer Christdemokraten unter Bewahrung des Kohlschen Erbes (SASCUBKE) gründen wird. Alfred Dregger möchte erst nach einem letzten Check im Universitätsklinikum Bonn entscheiden, ob er den Bitten von Parteifreunden nachkommt und den Vorsitz einer noch zu gründenden Deutsch-Nationalen Partei/Der Stahlhelm übernimmt. Mehrere führende Christdemokraten schließen sich keiner der möglichen Parteieneugründungen an. Angela Merkel will, so heißt es aus ihrem Umkreis, Herausgeberin des ihr schon immer wohlgesonnenen Berliner Tagesspiegel werden, und Volker Rühe macht in Hamburg ein Fitness-Center auf („Fit durch Powerwalking“).

Das Auseinanderbrechen der CDU erschüttert die gesamte Parteienlandschaft. Die SPD wählt auf einem eilig einberufenen Sonderparteitag Gerhard Schröder noch einmal zum Parteivorsitzenden. Der Kanzler erhält 103 Prozent der Stimmen. „Das ist ein Zeichen für die Lebendigkeit unserer Partei“, kommentiert Schröder seine Wahl. Die FDP hat nicht einmal mehr Zeit, eine Stellungnahme zum Tod der CDU abzugeben. Allein schon die Möglichkeit, dass aus den Resten der Christdemokraten eine wirtschaftsliberale Partei hervorgehen könnte, führt zum sofortigen Untergang der FDP. Ihr letzter Vorsitzender Wolfgang Gerhardt wird als Englischlehrer an eine Gesamtschule in Hessen strafversetzt.

Die Feuilletons der großen deutschen Zeitungen verstricken sich in eine heillose Debatte darüber, dass die gesellschaftliche Mitte ihren Ort verloren hat. „Mitte, wo bist du – Bürgertum, was machst du?“, fragt Jürgen Habermas besorgt in der Zeit. Peter Sloterdijk wird in Elmenau mit Gegenthesen zu Habermas erwartet. Er soll zum Thema „Die weltabgewandte Seite des Mondes oder Späte Einsichten im deutschen Parteienpark“ sprechen. Lothar Matthäus kehrt als Reaktion auf Sloterdijks Vortrag aus New York nach Deutschland zurück. Er soll Vorsitzender einer neuen bürgerlichen Partei werden, welcher genau, weiß noch keiner. „Ein Lothar Matthäus stellt sich seiner Verantwortung“, sagt Lothar Matthäus.

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