: Ein ganzes Leben in der Hosentasche
■ Jens Schmidtmann ist der Moderator der „Senioren-Talk-Show“. Mehr als 150 Auftritte hat er in zwölf Jahren hinter sich gebracht. Sein großer Traum: einmal noch zurückkehren in die Sparkassenkantine am Brill, dem Ort seiner größten Triumphe
Kaum volljährig, vergriff sich Herr Schmidtmann an einem Mikrofon. „Christina, schon der Name schlug wie ein Gewitter ein / und ich ahne: Christina, wir werden immer happy sein“ sang er hinein, tingelte damit durch die Discotheken und verdiente mit diesen formvollendeten Versen viel Geld. Sechs Langspielplatten und diverse Auftritte in den Fernsehsendungen „Drehscheibe“ und „Schaubude“ später war die hoffnungsvolle Karriere bereits wieder beendet. Schlager, fand Herr Schmidtmann nun, sind seine Sache nicht. Stattdessen: Studium. Was mit Menschen. „Wissen Sie, ich liebe nämlich Menschen“.
Vier Jahre im Studiengang Sozialarbeit an der Fuldaer Fachhochschule lassen unter Jens Schmidtmanns lichter Schädeldecke allerdings einen ganz anderen Wunsch heranreifen: Schauspieler! Der Ausbildung an einer Hamburger Schauspielschule Seit an Seit mit dem trinkfesten Theo „Ein Fall für zwei“ Gärtner folgen Auftritte im Tatort, „Großstadtrevier“ und den „St. Pauli Landungsbrücken“.
In 28 Filmen mimt er vorzugsweise unangenehme Zeitgenossen. Am Thalia-Theater und am Oldenburger Staatstheater bringt er in den 80er Jahren so manchen Arbeitseinsatz als übler Schurke hinter sich. Für ein so lammfrommes Herzchen wie Jens Schmidtmann auf Dauer eine Zumutung. „Ich bin nämlich gar nicht böse“, sagt er da. Und blickt wie ein Reh, das versucht, im letzten Augenblick den flintenbewährten Jäger in eine liebliche Salatgurke zu verwandeln.
Doch wenn die anderen nicht wollen wie Jens Schmidtmann, will Jens Schmidtmann auch nicht mehr wie die anderen. Womit Ende der 80er Jahre auch seine zweite erfolgversprechende Karriere abrupt beerdigt wurde. „Zeitverschwendung – Schluss damit, auf deutsch gesagt!“ Die genaue Berufsbezeichnung des 44-Jährigen lautet seither: „Ich bin Sozialarbeiter und Schauspieler, der nicht mehr als Sozialarbeiter und Schauspieler arbeitet“. Und: „Ich bin der Moderator der Bremer Senioren-Talk-Show.“
Nicht einmal einem Herzchen hätte man es zu Beginn abgenommen, hätte es prophezeit, dass sich ausgerechnet diese dritte Karriere durch mittlerweile elf Jahre und mehr als 150 Sendungen ziehen würde. Zwar war die Premiere im Februar 1988 durchaus ein Erfolg, als Schmidtmann in einem Haus der Bremer Heimstiftung mit dem Berliner Ex-Bürgermeister Heinrich Albertz und Werder-Manager Willi Lemke plauderte. Doch schon der erste Test, die Show außerhalb eines Altersheims zu etablieren, endete in einem Fiasko.
Gerade mal vier ZuschauerInnen fanden den Weg in den riesigen Festsaal des Deutschen Hauses am Marktplatz – dort, wo heute Beck's Bistro residiert – um sich von dem verzweifelten Moderator und seinen Gästen, den Astrologen Alexander Morin und Catch-Weltmeister Otto Wanz, unterhalten zu lassen. Schmidtmanns kurzfristiger Versuch, diese Auftaktniederlage mittels einer spontan ins Leben gerufenen „Junioren-Talk-Show“ vergessen zu machen, scheiterte kläglich. Gelang es ihm mit diesem Konzept doch tatsächlich, den Zuspruch zu seiner ersten Senioren-show – wir erinnern uns: vier ZuschauerInnen – noch deutlich zu unterbieten.
Also doch wieder Seniorentalk. Obwohl Schmidtmann für diesen Job nicht die besten Voraussetzungen mitbringt. „Ich hasse Talkshows“, bekennt er, souverän ignorierend, dass logisch denkende Menschen hier einen Widerspruch verorten würden. Schmidtmann aber ist ein im rauhen Bremer Norden aufgewachsener und darum lebenskluger Dialektiker. Und Dialektiker aus Bremen-Nord wissen: „Die Welt ist halt verrückt. Warum also sollte ich anders sein als diese Welt?“
1.400 Talkgäste haben die monatlich stattfindene Show in der Zwischenzeit besucht. Henning Scherf war da, Willi Lemke schaut regelmäßig vorbei, Brigitte Mira, „Bomben-Harry“ Warrelmann und Musicalstars nahmen schon neben Jens Schmidtmann Platz. Eine Gage erhält niemand, sieht man von dem für eine Senioren-Show unverzichtbaren Stückchen Torte und der Tasse Kaffee ab.
„40.000 Mark bekomme ich normalerweise pro Auftritt, zu Herrn Schmidtmann komme ich umsonst“, soll der Schauspieler Karl-Heinz Böhm erklärt haben. Und ein besserverdienender Gast namens Rudi Carrell habe ihm gesagt: „37 Millionen Mark habe ich schon, zu Dir komme ich umsonst“. Noch irgendwelche Zweifel, dass Jens Schmidtmann ein Herzchen ist?
Doch nicht jeder ist dem selbsternannten „Sozialarbeiter im Dienste der SeniorInnen“ wohl gesonnen. Mitte der 90er Jahre kam es gar zu einem hässlichen Eklat. Mit zu viel Bier im Leib (“Stimmt nicht.“) soll Schmidtmann auf dem Freimarkt seine Show moderiert und dabei ZuschauerInnen vergrätzt (“Stimmt doch nicht“!) und Gäste bloß gestellt haben („Stimmt doch alles nicht!!“).
Was zumindest stimmt: Die Sparkasse, bis dahin Schmidtmanns treuer Sponsor, nahm dies zum Anlass, ihm den Rücken zu kehren. Und die Bremer BILD-Zeitung konnte gar vom „Krieg der Moderatoren“ schwärmen, weil die Sparkasse zudem einen eigenen „Senioren-Klönschnack“ unter der Leitung von Rolf D. Voss ins Leben rief. Nach genau einer Ausgabe hatte Voss aber schon wieder ausgeschnackt. Und die SeniorInnen-Fraktion rund um Schmidtmanns treue Oma Meta aus Bremen-Nord und ihrer 97-jährigen Freundin pilgerten weiterhin unbeeindruckt zur Mutter des Senioren-Talks.
Dennoch: Seit jenen dunklen Tagen ist nichts mehr so wie zuvor im Leben von Jens Schmidtmann. Im Zenit seiner glänzenden Karriere, wo bis zu 550 strahlende Augenpaare in der prall gefüllten Sparkassenkantine am Brill an seinen schmalen Lippen klebten, dieser üble Absturz. Der Ruf war angekratzt, das Selbstbewusstsein des durchaus eitlen Selbstdarstellers angeschlagen. Und noch einmal als Moderator die menschenüberlaufene Sparkassenkantine in Ekstase zu versetzen ist seither jener Traum, der Schmidtmann Tag und Nacht verfolgt. Es bedurfte einiger Radtouren hinaus zu seinem vor kurzem nach Berlin verzogenen, trostspendenden Freund Helmut Lange (Kennen Sie Kino?“), ehe Schmidtmann sich wieder ganz sicher war: „Der Mensch, jetzt ich, ist halt ein Anziehungspunkt.“
Und so talkt der Anziehungspunkt auch abseits der Sparkassenkantine Monat für Monat weg, was sich vor sein Mikro setzt, entlockt Oma Trittin die kulinarischen Vorlieben des Bundesumweltministers und der Miss Bremen 91/92 das Geheimnis ihrer umwerfenden Schönheit. Die mit Fotos und vergilbenden Zeitungsschnipseln ge-spickten Wände in Schmidtmanns Schwachhauser Wohnung dokumentieren auch für den, der es nicht wissen will, wem Schmidtmann in seinem langen Moderatorenleben schon alles die Hände geschüttelt hat: Herr Schmidtmann und Herr Quadflieg, Herr Schmidtmann und Herr Rebers, Herr Schmidtmann und Frau Mira, Herr Schmidtmann und Herr Schmidtmann und ...
Wenn er, was selten vorkommt, mal nicht mehr weiß, wann etwa Kunsthallenchef Wulf Herzogenrath mal in seiner Show über die John-Lennon-Ausstellung plauderte, hilft der rettende Griff in die prall gefüllte Hosentasche. Dort hütet Schmidtmann das, was er „mein Leben“ nennt: eine akurat gefaltete Ansammlung aller Zeitungsmeldungen und -artikel, die je über die Seniorenshow erschienen sind. In seinem „Leben“ kennt er sich aus; kaum ein markanter Satz darin, den er nicht auswendig aufsagen könnte. Ohne dieses Papierbündel verlässt er nicht das Haus. „Das ist mein Tagebuch, ich lese es, so oft ich kann“, sagt er. „Wer weiß, vielleicht bin ich schon verrückt“. Wirklich besorgt klingt das nicht.
Überhaupt müht sich Jens Schmidtmann nicht sonderlich, dem Ruf des Sonderlings zu entgehen. Seine markante Frisur – oben nix, dafür hinten lang – betrachtet er als sorgsam zu pflegendes Markenzeichen, ebenso wie seine Wohnungseinrichtung, in der seit der Anschaffung eines Telefunken-Fernsehgerätes aus dem Jahr 1962 die Zeit stehen geblieben ist. Im Wohnzimmer dominiert ein Gemenge aus solidem Gelsenkirchener Barock und Erbstücken quer durch die Geschichte des Nachkriegmöbelbaus. Und die steile Treppe, über die man senkrecht in den kleinen Garten hinterm Haus stürzt, hat noch Opa Schmidtmann selbst an seinem Arbeitsplatz bei Hapag Lloyd organisiert. Sagen wir es durch jene roten Blumen, die die museumsreifen Gartenklappstühle Baujahr 1970 zieren: Trendy ist Jens Schmidtmann nicht. „Eher“, bekennt er mit in mächtige Falten geworfener Stirn, „bin ich etwas schwierig. Aber auch einfach!“
Und manchmal sogar richtig wütend. Etwa, wenn ihm jemand vorschreiben will, wie er die von ihm geschaffene Seniorenshow zu machen hat. Sein momentaner Sponsor – ein Verein für Wohnen im Alter – nötigt ihm blassblaue Visitenkarten und schick gestaltetes Briefpapier zum Zwecke professioneller Kommunikation auf (“Auf deutsch gesagt: nicht mein Stil!“). Und die Moderation muss er sich nun gar mit dem geschäftsführenden Vorstandsmitglied des Sponsors teilen, das seine Talkmaster-Eignung während der Shows bislang allerdings geschickt zu verbergen wusste. Mitmenschen, die ihm derart penetrant auf die Nerven gehen, bedenkt der einfach-schwierige Herr Schmidtmann mit deftigen Vokabeln, die zu ihm passen wie ein nagelneuer Farbfernseher, sich für ein veritables Herzchen nicht gehören und daher an dieser Stelle besser der Zensur zum Opfer fallen.
Doch irgendwann kehrt wieder Friede ein auf Jens Schmidtmanns zorngerötetes Gesicht. Seine Mission im Dienste der Seniorenerbauung ist zu wichtig, um sie sich aufgrund solcher kleingeistigen Banalitäten vergrätzen zu lassen. „Die Show geht weiter, bis der Tod uns scheidet“. Ob er nun Sponsoren findet oder nicht. „Ist nunmal so: Ich liebe Menschen. Aber der Mensch ist halt, auf deutsch gesagt, ein schwieriges Projekt“. Na na na, Herr Schmidtmann. Wer wird denn da verzweifeln. Erinnern Sie sich nicht mehr an die Zeit, als Sie ihre Lebenserfahrung noch via Schlager unter die Leute streuten und sangen: „Ich lebe mit der Einsamkeit, es geht mir gut, es geht mir schlecht“. Und ein paar Weisheiten später: “Wer wird denn aus Liebe weinen“.
Na, wer schon. Der Herr Schmidtmann jedenfalls nicht.
Franco Zotta
Die 157. Ausgabe der Senioren-Talk-Show findet statt am 19. Januar ab 15 Uhr im Restaurant des Flughafens. Gäste werden u.a. sein: Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) und die Leiterin des Institut Français Daniela vom Scheidt. Telefonisch ist Schmidtmann zu erreichen unter 346 93 91
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