Ohne Flora keine Kohle

Die EU-Kommission klagt gegen Schweden und England und will Fördermittel einfrieren, wenn Naturschutzgebiete nicht bald gemeldet werden ■ Aus Brüssel Daniela Weingärtner

Willkommen im Club: Fünf Jahre nach Ablauf der Vorschlagsfrist für Flora-Fauna-Habitat(FFH)-Gebiete wird die EU-Kommission nun auch Schweden und Großbritannien vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen, weil ihre Listen unvollständig sind und nicht den Anforderungen entsprechen. Die Kommission hatte das Ultimatum zweimal verschoben – zunächst auf Mitte 1998, dann bis Ende 1999. Gegen Frankreich, Deutschland und Irland laufen die EuGH-Verfahren bereits seit vergangenem Jahr. Die Verzögerer müssen mit millionenschweren Bußgeldern rechnen.

Großbritannien hat seinerseits im vergangen Jahr den EuGH angerufen, um klären zu lassen, wie bei Interessenkonflikten bei der Ausweisung der Gebiete zu verfahren ist: Sollen die Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur schwerer wiegen, oder hat der Artenschutz immer Vorrang? Diese Frage ist auch in Deutschland nicht ausdiskutiert.

Um die Länder endlich dazu zu bringen, ihre im Ministerrat selbst geschaffenen Verpflichtungen einzuhalten, verlässt sich die Kommission nicht auf den Rechtsweg allein. Sie droht den säumigen Mitgliedsstaaten an, Fördermittel zu streichen – zehn von sechzehn Länderdossiers liegen noch nicht vor oder sind unvollständig. In den zuständigen Abteilungen der EU-Kommission für Umwelt und Regionalförderung will zwar niemand ein derartiges Junktim bestätigen, tatsächlich aber liegt es den Mitgliedsstaaten seit Juni 1999 schriftlich vor. In einem Brief mit Datum vom 23. 6. 99 erinnerten die Kommissarinnen Bjerregard (Umwelt) und Wulff-Matthies (Regionalförderung) die Adressaten daran, dass die Meldefrist für FFH-Gebiete und Gebiete, die für wild lebende Vogelarten überlebenswichtig sind, bereits am 10. Juni 1998 abgelaufen sei. Der Nachfolger von Wulff-Matthies, Michel Barnier, hat Mitte Dezember weiteren Aufschub unter der Bedingung versprochen, dass Engagement zu erkennen sei. In der EuGH-Klageschrift vom März wird immerhin Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen vorgeworfen, noch keine Habitattypen benannt zu haben. Zu einer mündlichen Verhandlung wird es allerdings frühestens Mitte 2000 kommen. Bis zur Urteilsverkündung können weitere Monate vergehen – ziemlich lange Fristen für ein Projekt, das den ehrgeizigen Namen „Natura 2000“ trägt.

Da verspricht der Deal „Strukturfördermittel gegen Habitat-Gebiete“, den sich Bjerregard und Wulff-Matthies im Juni ausgedacht haben, wesentlich raschere Erfolge. „Die Behörden Ihres Landes werden der Kommission im Laufe dieses Jahres Dokumente für die neue Planungsperiode der Strukturfonds (2000–2006) übermitteln. Wie Sie wissen, setzt eine Finanzierung durch die Gemeinschaft voraus, dass die Aktionen mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, darunter denjenigen für den Umweltbereich, in Einklang stehen“, heißt es unverhohlen drohend in dem Schreiben. Gegen Ende werden die Worte noch deutlicher: „Im Falle Ihres Mitgliedstaats wird die Kommission unter Umständen nicht beurteilen können, ob die neuen Strukturfondsprogramme mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, da Ihre Behörde der Kommission keine vollständigen Listen der geschützten Gebiete übermittelt hat.“

Im Klartext heißt das: Wie soll die EU ausschließen, dass vierspurige Autobahnen durch Vogelschutzgebiete mit Strukturfondsmitteln gebaut werden, wenn die Schutzgebiete in Brüssel nicht bekannt sind? Bei den deutschen Bundesländern hat sich inzwischen herumgesprochen, dass bis zu 30 Milliarden Euro für Strukturprojekte blockiert sein könnten, wenn die Liste nicht rasch vervollständigt wird.

Fehlende Meldungen können Konsequenzen haben: Liegen in Brüssel Informationen über ein schutzwürdiges Gebiet vor, das vom Mitgliedsstaat nicht gemeldet wird, aber den Kriterien der Richtlinie entspricht, führt auch dieses Verhalten vor den EuGH in Brüssel. Bereits am 16. Oktober 1998 hat die EU Frankreich verklagt, weil der Staat nicht verhindert hat, dass seltene Vogelarten im Gebiet „Basses Corbières“ durch neue Kalksteinbrüche bedroht werden. Angesichts der drohenden Strafen meldete Mitte November Niedersachsen stolz Vollzug: 172 Schutzgebiete, etwa 6 Prozent der Landesfläche, und 2.000 Quadratmeter Wattenmeer wurden als Vorranggebiete für den Naturschutz eingestuft. Mecklenburg-Vorpommern hat seine Liste jetzt immerhin durchs Kabinett gebracht. Es hat zum Jahresende 136 FFH-Gebiete vorgeschlagen, ein Viertel des Landes soll unter Schutz gestellt werden. Sachsen-Anhalt und Brandenburg hinken hinterher. Sie dürften frühestens im April 2000 alles beisammenhaben.

Die neue Umweltkommissarin Margot Wallström hat aber schon Befürchtungen gedämpft, die „braven“ Länder müssten die Sanktionen mittragen, wenn die bundesdeutsche Liste zum Jahresende nicht vollständig vorliegt. Bundesländer, die sich an die Naturschutzrichtlinie halten, sollen ihre Strukturfondsmittel rascher erhalten als die, die den Stapellauf der Arche Noah verzögern.