: Gibt es eine Lifting-Creme?
Europäischer Gerichtshof erweitert nationalen Spielraum gegen irreführende Werbung: Deutsche Gerichte dürfen allein urteilen, ob eine Hautcreme „Lifting-Creme“ heißen darf
Freiburg (taz) – Maßstab im Verbraucherschutz ist nach einer gestrigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) der „verständige Durchschnittsverbraucher“. Wieviel Cleverness diesem aber unterstellt werden kann, das dürfen künftig die nationalen Gerichte entscheiden. Folglich bleibt zunächst auch die Frage unbeantwortet, ob hautstraffende Cremes in Deutschland als „Lifting-Creme“ bezeichnet werden dürfen oder nicht.
Die Frage nach dem Verbraucherleitbild ist ökonomisch von großer Bedeutung. Denn wenn nur in einem EU-Staat abweichende Anforderungen bestehen, dann müssen speziell für diesen Markt neue Verpackungen und Werbematerialien hergestellt werden.
So auch das Problem der Kosmetikfirmen mit ihren hautstraffenden Cremes. Bislang haben sie nur in Deutschland Ärger bekommen wenn sie diese als „Lifting-Creme“ bezeichnen. Die deutsche Rechtsprechung ging bisher davon aus, dass die sprachliche Anlehnung an ein operatives Liften der Haut eine „irreführende Werbung“ sei. Beim Verbraucher werde nämlich der Eindruck erwecht, Lifting-Cremes entfalteten eine dauerhafte Wirkung, „die sich den Resultaten eines operativen Eingriffs“ annähere. Tatsächlich aber bewirken solche Cremes nur eine kurzfristige Straffung der Haut, schon nach 2 bis 24 Stunden tritt wieder der ursprüngliche Hautzustand ein.
Vor einigen Jahren mußte bereits eine „Lifting-Creme“ der Firma Estée Lauder umbenannt werden. Jetzt ging die Kosmetikfirma zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen gegen ihren Konkurrenten Lancaster vor, der immer noch „Lifting-Cremes“ im Sortiment führte. Das Landgericht Köln unterbrach allerdings den Rechtsstreit, um eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes einzuholen. Dabei wollten die Kölner Richter vor allem wissen, von welchem Verbraucher-leitbild sie auszugehen haben.
In Deutschland besteht immer noch die Tendenz, den „flüchtigen“ (also oberflächlichen) Verbraucher zu schützen. Auch die Interessen von Kindern, sprachunkundigen Ausländern oder ungebildeten Menschen sind besonders im Blick. Wie schon in früheren Urteilen betonte der EuGH, dass auf die „mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist“. Damit ist klar gestellt, dass nicht die begriffsstutzigsten „10 bis 15 Prozent“ der Maßstab sein können, auf die in Deutschland oft abgestellt wurde.
Wie der deutsche Durchschnittsverbraucher über Lifting-Cremes denkt, wollte der EuGH nun aber nicht selbst entscheiden. Dies sei Sache der nationalen Gerichte, weil sich diese eher in die Psyche der Verbraucher und die Verwendung von Worten einfühlen könnten. Dies ist auch der eigentlich neue Punkt in der gestrigen Entscheidung. In früheren Fällen hatten sich die EuGH-Richter selbst zu „Durchschnittsverbrauchern“ erklärt und die Sache dann sofort entschieden – meist gegen den vermeintlich übertriebenen deutschen Verbraucherschutz.
Wie der EuGH den Lifting-Fall gern entschieden hätte, wird aber nicht verheimlicht. „Auf den ersten Blick“ spreche wenig dafür, so das Urteil, dass der Durchschnittsverbraucher von einer „dauerhaften Wirkung“ ausgehen könne. Warum sonst, so fragen die Richter, müsse die Lifting-Creme täglich neu angewandt werden.
Diese Überlegung müssen deutsche Gerichte aber nicht übernehmen und werden es vermutlich auch nicht. So ging das Landgericht Berlin – nun bestätigt vom Bundesgerichtshof – davon aus, dass „bei weiten Kreisen der Öffentlichkeit, wenn nicht sogar ausnahmslos, Assoziation an das operative Liften“ erweckt werden.
Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände begrüßte gestern die Erweiterung des nationalen Spielraums im Verbraucherschutz. Christian Rath
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