: UNO-Training für sächsische Basis
Die PDS-Spitze freundet sich mit UNO-Militäreinsätzen an. Doch die Basis wittert Verrat. Eine Parteiversammlung in Chemnitz
Chemnitz (taz) – „Ich bin kein Betonkopf“, bescheidet die Genossin den neben ihr sitzenden Sympathisanten der PDS, um dann einschränkend hinzuzufügen, „wenigstens bemühe ich mich, keiner zu sein“.
Nein, die überfüllte Versammlung im Chemnitzer Vereinslokal der PDS „Rosen-Rot“ am Mittwoch besteht nicht nur aus hartgesottenen Dogmatikern. Und dennoch hat Genosse Wolfgang Gehrcke, MdB und außenpolitischer Spezialist seiner Partei, seine liebe Not und Müh, die Botschaft von Fraktions- und Parteileitung rüberzubringen. Es geht um eine künftige differenzierte Sicht auf die UNO, ihre Charta und dort insbesondere auf das siebte Kapitel, das militärische Einsätze von UNO-Truppen vorsieht. In einer überaus vorsichtigen Positionsbestimmung hatte die Fraktion Ende Oktober letzten Jahres festgelegt, sie zolle der Charta, mithin aber auch dem Kapitel sieben Respekt. Ob man zukünftig für militärische Sanktionen eintrete, werde sich im Einzelfall entscheiden. So geschah es dann – mit Stimmenmehrheit – im Fall der UNO-Intervention in Osttimor. Nur deutsche Soldaten wollten sie dort nicht sehen.
Seit dieser Positionsbestimmung riecht es bei den Friedensfreunden nach Pulverdampf – auch in Chemnitz, wo die Delegiertenversammlung der Stadt die Position der Leitung zurückgewiesen und eine Aussetzung des Beschlusses verlangt hat.
In den Wochen der Nato-Intervention im Kosovo haben sich unter den Fittichen des Pastors Hans-Jochen Vogel ein paar Dutzend Aktivisten aus drei Friedengruppen zusammengeschlossen.
Wir finden hier ergraute Dialektiker, die dem weltweiten Kampf um die Verteidigung der Menschenrechte rhetorischen Tribut zollen, um dann sogleich zu fragen, wo die Ursachen für ihre Verletzung liegen. Womit wir bei der verbliebenen Supermacht und damit dem US-Imperialismus angekommen wären. Wir finden aber auch unbedingtes moralisches Engagement, das den Einsatz von Gewaltmitteln auch trotz eines Beschlusses des Weltsicherheitsrats ablehnt. Wer dem Kapitel sieben zustimme, so ein rotbärtiger Aktivist, bemühe sich erstens nicht ernsthaft um friedliche Lösungen und könne zweitens dann auch nicht den Einsatz von Truppen der Bundeswehr verweigern. Zwischen diesen Positionen manövriert eine Art Mittelgruppe, die danach ruft, erst einmal das friedliche Potenzial der Konfliktvermeidung und Prävention auszuschöpfen. Sie betont, mehr Fragen als Antworten zu haben, tastet sich ans Problem, wie die rechtspolitische Sprecherin der PDS, Evelyn Kenzler, die auch auf dem Podium sitzt.
Gehrcke bemüht sich, das alte Leninsche Postulat „Konkrete Analyse einer konkreten Situation“ in eine neue, handliche Begrifflichkeit zu übersetzen. Er will den Chemnitzern klarmachen, dass Gewalt die Ultima Ratio ist, denn manchmal ist eben das Kind schon in den Brunnen gefallen. Dann aber sein Hauptargument: Man muss ans Massenbewusstsein anknüpfen, um es zu verändern. Und in der Bundesrepublik würde nun mal Sicherheit vorrangig militärisch definiert. Eigentlich will er sagen: „Man muss mit der fremden Sache hineingehen, um mit der eigenen herauszukommen.“ Aber das unterlässt er lieber.
Diese „Rücksichtnahme“ aufs Massenbewusstsein ist es, die die Zuschauerschar einhellig empört. „Was soll das heißen? Natürlich wissen wir, dass die Masen manipuliert sind. Gerade das macht unsere Arbeit nötig. Wenn wir uns anpassen, wird man uns lieben. Aber dann sind wir überflüssig“ – so der erregte Grundtenor. Wie bei der alten KPD das SPD-Verrats-syndrom rumorte, so bei den PDSlern und Friedensbewegten das Verratssyndrom der Grünen. Umsonst bemüht sich Gehrcke, diesen dichten Komplex aufzulösen, indem er bei den Grünen gerade das Übergewicht moralischer Positionen über strategische Überlegungen zur eigentlichen Ursache des „Umfalls“ macht. Hier sind Identitätsfragen im Spiel, und die sind bekanntlich unlösbar.
Weiß die Chemnitzer Versammlung, dass hinter einem Ja zur UNO auch ein – wenngleich zähneknirschendes – Ja zur Nato lauern könnte? Darüber fiel kein Wort. Christian Semler
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