: 42-mal „Rau“ auf Flugliste der West/LB
Eine Aufstellung der Westdeutschen Landesbank belegt NRW-Minister Schleußers „Dienstflüge“ nach Sylt und Kroatien. Johannes Rau flog 42-mal mit der West/LB. Offene Fragen auch bei den Flugpreisen ■ Von Pascal Beucker
Nur wenige Worte verlor Wolfgang Clement auf dem Parteitag der nordrhein-westfälischen SPD am Samstag in der Essener Grugahalle über „diese so genannte Flug-Affäre“. 98,3 Prozent der Stimmen für ihn als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Mai, da brauchte es nicht viel selbstkritische Befragung zum Thema Flugaffäre: Die „Luftnummer“ um Flüge von NRW-Regierungsmitgliedern mit dem Flug-Service der Westdeutschen Landesbank (West/LB) würde „immer mehr zu einem schmuddeligen Kriminalgespinst“. Er sei „froh, dass es diesen Untersuchungsausschuss gibt“, erklärte der Ministerpräsident den Delegierten. Der Ausschuss würde sich „als ein Ehrenschutz für uns erweisen gegenüber manchem, was über uns – insbesondere über meinen Freund und Kollegen Heinz Schleußer – verbreitet worden ist“.
Wenn er sich da mal nicht täuscht. Denn inzwischen liegt eine Aufstellung von Flügen vor, die die West/LB für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags zusammengestellt hat. Am Wochenende veröffentlichte die Welt am Sonntag die komplette Liste. Danach haben Mitglieder der NRW-Landesregierung von 1989 bis 1999 über einhundert Mal den Flugbereitschaftsdienst der Bank in Anspruch genommen. Alleine der frühere Ministerpräsident Johannes Rau ist seit 1989 42-mal mit der West/LB geflogen. Der Bundespräsident will sich erst Ende Januar zu seinen Reisen äußern.
Doch schon jetzt steht fest: Er wird gehörige Anstrengungen unternehmen müssen, um den dienstlichen Charakter aller Flüge nachzuweisen. Nach der West/LB-Aufstellung sind die entstandenen Kosten der Regierungsflüge höher, als die Landesregierung bisher angegeben hatte. Von einem Gesamtaufwand von 1,8 Millionen Mark seit 1985 hatte Regierungssprecher Klaus Klenke am vergangenen Montag gesprochen. Nun weist die erst 1989 beginnende Aufstellung alleine 1,87 Millionen Mark auf. Kein Wunder, kostete doch beispielsweise die Hin- und Rückreise Clements zur Verkehrsministerkonferenz nach Rostock am 19. und 20. September 1996 laut Liste 54.763 Mark. Bemerkenswert auch die Preisschwankungen auf einer Flugstrecke: Wurde ein einfacher Flug Raus von Düsseldorf nach Berlin am 29. September 1994 noch mit 16.296,10 Mark veranschlagt, kostete er am 20. November 1995 schon 21.759,75 Mark. Bei der Deutschen BA kosten Flüge von Düsseldorf nach Berlin zwischen 260 und knapp über 600 Mark.
Fein unterschieden hatte Staatskanzleichef Georg Wilhelm Adamowitsch, der auch selber den West/LB-Jetservice in Anspruch nahm, letzte Woche darüber hinaus zwischen Dienstflügen und solchen „im Interesse der West/LB“. Nach seinen Ausführungen seien die Schleußer-Flüge bis auf die zwei zugegebenen Privattrips allesamt „dienstlich veranlasst“ gewesen. Diese Darstellung lässt sich nun nur noch schwerlich aufrechterhalten. Denn auf beinahe der Hälfte dieser „Dienstflüge“, u. a. in die Nähe seiner Ferienjacht an der kroatischen Adria, begleitete ihn West/LB-Chef Neuber. Aufklärungsbedürftig bleibt zudem, warum Schleußer zusammen mit seinen damaligen Kabinettskollegen Klaus Matthiesen und Hans Schwier am 14. 6. 1990 für 11.001,87 Mark nach Westerland auf Sylt an die Nordsee geflogen sind, um von dort aus – so die bisherige Darstellung des Finanzministers – die schleswig-holsteinische Landesregierung in Kiel an der Ostsee zu besuchen.
Beschäftigen wird sich der Untersuchungsausschuss auch mit Unterschieden zwischen der Flugliste, die Finanzminister Schleußer dem Gremium übergeben hat, und der West/LB-Liste. Am Mittwoch kommt der Untersuchungsausschuss des Landtags zu seiner ersten öffentlichen Sitzung zusammen. Als Zeugin ist Sabine Wichmann geladen, die Witwe des 1997 verstorbenen Flugkapitäns Peter Wichmann. Mit dessen Düsseldorfer Flugfirma „Privat-Jet-Charter“ (PJC) hatte die West/LB bis Ende 1996 einen Flugbereitschaftsvertrag. Sie könnte die Landesregierung weiter in Erklärungsnotstand bringen.
Für den grünen Landtagsfraktionssprecher Roland Appel steht indes schon jetzt fest, dass aus der „Flugaffäre“ „strukturelle Konsequenzen“ gezogen werden müssen. Regierungsgeschäfte und die wirtschaftliche Tätigkeit einer Bank müssten klar getrennt sein, forderte Appel. Das sei bisher nicht der Fall.
Doch mit solchen Widrigkeiten des Alltags wollten sich die Delegierten auf dem Essener SPD-Parteitag am Wochenende nicht beschäftigen. Ihr Landesvorsitzender, der SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, stimmte die Genossen ohne ein Wort zur Flugaffäre auf die Landtagswahl im Mai ein: „Unser Ziel ist klar: Die SPD wird stärkste Partei, wird stärkste Fraktion, Wolfgang Clement bleibt Ministerpräsident – deshalb sind wir hier.“ Ob er mit dem Flugzeug gekommen war, erwähnte er lieber nicht.
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