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Diepgen die Hütten, Schröder die Paläste

■ Das heutige Treffen zwischen Bundesregierung und Senat führt den Landespolitikern ihre Bedeutungslosigkeit vor Augen: Seit Strahlemann Gerhard Schröder in der Stadt ist, führt der Berliner Senat nur noch ein Schattendasein

Berlin kommt zum Schluss. Schon seit mehr als einem Jahr tourt die Bundesregierung durch die neuen Länder, konferierte mit den Kabinetten in Dresden und Schwerin, Erfurt, Potsdam und Magdeburg. Jetzt endlich finden Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und seine Ministerriege Zeit, auch den Würdenträgern am eigenen Regierungssitz einen Besuch abzustatten. Für den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) ist es kein angenehmer Termin. Wenn er samt seiner Senatorenschar heute Nachmittag im Roten Rathaus das Bundeskabinett begrüßt, wird ihm seine eigene Bedeutungslosigkeit wieder drastisch vor Augen geführt: Seit Strahlemann Schröder in der Stadt ist, führt der Berliner Senat nur noch ein politisches Schattendasein. „Berliner Regierung“ oder „Berliner Parlament“: Diese Begriffe sind nun neu besetzt. Früher durfte der Regierende Bürgermeister den amerikanischen Präsidenten im Empfang nehmen; heute reicht es allenfalls für einen kurzen Eintrag ins Goldene Buch. Eine Umfrage des Senats ergab: Nur einem von 14 Deutschen kommt die Landesregierung in den Sinn, wenn er an Berlin denkt.

Dass Meinungsforscher den Berliner Rathauschef gerade erst zum beliebtesten Politiker Deutschlands kürten, ist da nur ein schwacher Trost. Denn als Politiker im eigentlichen Sinn wird Diepgen längst nicht mehr wahrgenommen. Seine Popularität ist die eines kommunalen Würdenträgers, der über den Parteien schwebt – ähnlich wie der frühere Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel oder das Münchener Stadtoberhaupt Christian Ude. Ein Parteipolitiker, der auch harte Konflikte bestehen muss, könnte solche konstant hohen Werte überhaupt nicht erreichen. Diepgen weiß das – und hält sich von bundespolitischen Ambitionen auch in diesen Tagen wohlweislich fern.

Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen haben die Erkenntnis nur verzögert: Berlins Landespolitiker haben immer weniger zu melden. Das betrifft nicht allein den Regierenden Bürgermeister. Auch Kultursenatorin Christa Thoben (CDU) liefert sich mit dem Bundespolitiker Michael Naumann (SPD) nur noch Rückzugsgefechte um die Frage, wer auf dem weiten Feld der Berliner Kultur das Sagen hat. Schulsenator Klaus Böger (SPD) beugt sich beim Religionsunterricht den Gepflogenheiten der westdeutschen Zuwanderer. Selbst das große Thema der vergangenen Jahre, der Streit um den Landeshaushalt, erhitzt die Gemüter kaum noch.

Nicht nur von oben wird die Autorität des Senats unterhöhlt. Auch von unten zerbröselt die alte Westberliner Subventionsgesellschaft, die von den Zuwendungen der Stadtregierung existenziell abhängig war. Das viel beschworene „Neue Berlin“ – es hat sich nicht durch die Politik, sondern trotz der Politik entwickelt. Die Hoffnung, die Zuwanderer könnten die Berliner Politszene aufmischen, hat sich nicht erfüllt. Kaum ein Neuberliner zeigt Interesse, sich in den Niederungen der Kommunalpolitik aufzureiben.

Auch die Berliner Lokalgrößen selbst sägen kräftig am eigenen Stuhl. Jahrelang hatten sie den Regierungsumzug zu Berlins einziger Zukunftschance erklärt. Kaum ist er vollzogen, reden sie nur noch von den „Lasten“ der Hauptstadt – und treten als Kostgänger des Bundes den Weg in die selbst verschuldete Unmündigkeit an.

Ob Schröder & Co. diesen Souveränitsverlust wie erhofft vergolden, muss sich erst noch zeigen. Bei der Visite in Erfurt hatte Schröder versichert, die ICE-Trasse durch den Thüringer Wald werde gebaut. Wenig später wurde das Projekt beerdigt. Ralph Bollmann

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