: Der Riss geht bis Dallas
Meister des kleinsten und größten Übergangs: Ingo Metzmacher dirigiert Alban Berg und Anton Bruckner in der Musikhalle ■ Von Roger Behrens
Manchen gilt er schon als Wegweiser einer (zweiten) Hamburger Schule: Ingo Metzmacher ist dabei, durch seine eigenwillige Programmpraxis ohne Populismus und Anbiederung einen Übergang zwischen den Fronten der spätmodernen Kultur zu erreichten. Von der Geschäftigkeit des Betriebs distanziert sich der Hamburger Staatsorchester-Chef, obwohl er um die Nuancen weiß, mit denen er Popkultur auch für sich reklamieren kann. Kurzum: An der bürgerlichen Kunstmusik interessiert ihn die Musik und was sich in ihr an gebrochener Subjektivität sedimentiert, nicht das Ungebrochene am bürgerlichen Kulturverdikt. Das verbindet Metzmacher mit seinem frühen Hamburger Vorgänger Gustav Mahler; und eben an Mahlers Sinfonien hat Metzmacher seinem Publikum bereits vorgeführt, dass die musikalische Moderne nicht auf die abgeschmackte Ideologie der „Klassik“ zu bringen ist, sondern nur über das Widersprüchliche, ja Zerrissene der Moderne selbst erfassbar ist.
In diesem Sinne stehen für das 6. Philharmonische Konzert Anton Bruckner und Alban Berg auf dem Programm. Bruckners 7. Sinfonie in E-Dur (1884) zählt zu den beliebtesten des Wiener Hofkapellorganisten, der sich Orgelspiel und Kontrapunkt selbst beibrachte. Bruckners Instrumentierung scheint von den Registraturen spätromantischer Orgeln inspiriert zu sein, die Bläser führen oft die Themen; von Kontrapunktonik ist vor allem die 7. Sinfonie beherrscht. Das religiös bestimmte Werk – im vierten Satz ruht vor der gewaltigen Durchführung des Hauptthemas eine Choralweise, das Adagio des zweiten Satzes gilt, ebenfalls choralähnlich gebildet, als Elegie auf Wagners Tod – ist durchaus verklärt, begreift den Menschen im Kampf und Ringen mit den höheren Mächten (als Kontrast mag man einmal Beethovens 6., die „Pastorale“ von 1808, heranziehen oder Mahlers 1895 komponierte 2. Sinfonie).
„Das Kammerkonzert für Klavier und Geige mit dreizehn Bläsern (1925), in der Reihe von Bergs Kompositionen die erste ohne Opuszahl, markiert in seinem ×uvre abermals einen großen Einschnitt. Er wäre nicht der Meister des kleinsten Übergangs gewesen, wenn das neue Leben licht sich nennen ließe, das mit dem Werk beginnt“, schreibt Theodor W. Adorno über das Werk seines Kompositionslehrers, welches Metzmacher anschließend zur Aufführung bringen wird, unterstützt von zwei Solisten: Pierre-Laurent Aimard (Klavier) und Christian Tetzlaff (Geige). Schon die ungewöhnliche Ins-trumentierung lässt es vermuten: Alban Bergs Kammerkonzert ist keine leichte Sache. Spielerisches steht neben höchster Konzentration, die Konzertform selbst steht disparat zu den komplexen Konfigurationen in dem Werk, welches Berg in Verehrung für Arnold Schönberg komponierte: Zwölftonmusik. Was bei Bruckner noch schicksalhaft überhöht wird, weltfern, rückt bei Berg in die Augenblicklichkeit des Jetzt. Adorno sprach davon, dass das Werk nicht von Zerrissenheit, sondern vom Punktuellen bestimmt ist. Dem geht freilich die Zerrissenheit voraus, jedenfalls gesellschaftlich.
Bruckner erscheint im Kontrast zu Berg allein deshalb gefälliger, weil sein spätromantisches Ideal selbstläufig im Mainstream des heutigen Musiklebens mündet; in Bruckner kristallisiert sich der bürgerliche Fortschrittsbegriff – nicht umsonst dürften die Hauptthemen der Science-Fiction-Filmmusik (vor allem Star Wars), aber auch die großbürgerlichen Soap-Titelmelodien (Dallas, Denver) so sehr nach Bruckner klingen. Auch die Siebte hält solche Themen bereit.
Im Programm des 6. Philharmonischen Konzertes ist der Zwölftöner Berg der eigentliche historische Sprung, fast schon chronologisch eine Dissonanz. Darin liegt die Provokation, die sich Metzmacher genehmigt, nicht in der eventuellen Belohnung des strapazierten Publikums: Der kleinste Übergang fordert den größten. Und Metzmacher wird ihn herstellen, als ging es um die Aufführung der letzten noch möglichen sinfonischen Dichtung überhaupt.
Sonntag, 11 Uhr, Montag, 20 Uhr, Musikhalle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen