: An Kasse 4 herrschen andere Sitten
Taxifahrer, Klofrauen, Kassiererinnen und der Kassenprüfer vom SV Herten: Geldübergaben in Deutschland sind meist gefährlich
Im Zeitungsständer neben Kasse 4 regieren seit Tagen dieselben Schlagzeilen: Vom „System Kohl“ ist die Rede, von schwarzen Kassen und unterschlagenen Millionen. An Kasse 4 herrschen andere Sitten. „Achtundneunzigmarkdreiundsiebzig.“ Rita Lischinski mustert den 500-Mark-Schein, steckt ihn gut sichbar neben das Tastenfeld und greift tief in ihre Computerkasse. Jetzt nur keinen Fehler machen. Erbarmungslos fiepen die Scanner der Kolleginnen, quengelt der Dreijährige im Einkaufswagen, drängelt die Schlange dahinter. Flink blättert die „Extra“-Kassiererin der jungen Mutter vier Hunderter entgegen und fingert nach den fehlenden Münzen. Die Geldübergabe an Kasse 4 dauert nur wenige Sekunden.
Routiniert hantiert die Frau im weißen Kassenkittel mit großen und kleinen Scheinen – ein paar tausend Mark schon vor der Mittagspause. Für Rita Lischinski – wie sie sich hier nennt, damit ihr Chef sie nicht erkennt – alles andere als Peanuts: „So eine Kassenschummelei wie bei der CDU“, schimpft sie, „so was wäre in meinem Laden nicht passiert. Unmöglich.“ Wenn die Kassiererinnen der „Extra“-Filiale im westfälischen Herten abrechnen – stets zu zweit, abends mit der Chefin –, darf kein Pfennig fehlen. „Wer sich verzählt hat, zahlt aus eigener Tasche, wer sich beim Klauen erwischen lässt, wird gefeuert“, so Lischinski. „Fristlos. Da gibt es kein Pardon.“ Jeden Morgen, bei Schichtantritt, heißt es für die Supermarktverkäuferinnen: Taschen auf. Nach Feierabend wieder – Diebstahl so gut wie ausgeschlossen. „Klauen tun bei uns nur die Kunden, und zwar fast täglich. Und manchmal“, fügt Lischinski hinzu und denkt dabei an die Zeit, als „Extra“ noch „Coop“ hieß, „bedienen sich die Chefs.“
Im Mercedes von Cavit Fucucu wacht das Computertaxometer darüber, dass die Kasse stimmt. Das ist in der Hauptstadt nicht anders als in der westfälischen Provinz. Trotzdem fahren Berliner Taxis regelmäßig schwarz: „Jeder vierte Kunde verlangt einen Pauschalpreis – ein Zwanni für die 30-Mark-Strecke“, so der Profichauffeur. „Einer von drei Kollegen steigt drauf ein, lässt die Uhr aus und die Leuchte an.“ Vor allem auf Kurzstrecken bis zwei Kilometern werde skrupellos bestochen und eingesackt. Da wundert sich der 34-Jährige bei Politikern über gar nichts mehr: „Wo Geld ins Spiel kommt, wird eben auch abgezockt. Das ist am Taxistand nicht anders als in der CDU.“
Aber nicht mal einschlägige Finanzjongleue der Union haben so viel Dreck am Stecken wie die Kunden von Marion Foss: „Neunzig Prozent waschen sich nach ihrem Geschäft nicht die Hände.“ Die Klofrau der Berliner Friedrichstadtpassage sieht alles. Auch, dass viele die 50 Pfennig Trinkgeld pro Austritt schuldig bleiben, mit denen sich die 67-Jährige ihre spärliche Rente aufbessert. Zu DDR-Zeiten hat sie im berüchtigten Ost-Berliner Palasthotel Stasi-Bonzen, später am Alexanderplatz Touristen hinterhergewischt. Über die Schmutzgeschäfte der CDU kann sie nur schmunzeln: „Andere machen das doch auch. Was glauben Sie, was die SED-PDS abgezockt hat. Und die Sozen? Ich halte zu Kohl – wegen seiner Verdienste.“
Für so viel Nachsicht hat CDU-Mann Dietmar Primus wenig Verständnis. „Wir müssen ja auch sehen, dass wir mit dem bisschen Geld, das wir einnehmen, über die Runden kommen.“ Bei Geld hört für Primus der Spaß auf. Dafür steckt sein Verein, die Spielvereinigung Herten, gerade zu tief in der Patsche: „Wir haben 70.000 Mark Schulden, davon tausende beim Finanzamt“, stöhnt Primus, seit kurzem Kassenprüfer bei den Feierabendfußballern von „Grün-Weiß“. Jahrelang habe der Vorstand in die eigene Tasche gewirtschaftet. „Wer so was macht, gehört bestraft – egal ob im Fußball oder in der Politik.“
Jetzt geht beim Kreisligisten der Rechenschaftsbericht wieder auf. Nach dem, was er geprüft habe, sagt Primus, gibt es bei „Grün-Weiß“ keine schwarzen Kassen mehr. Mit Ausnahme der „alten Herren“, wo der 47-Jährige mitkickt: Die haben sich ihre „schwarze“ Kasse – die Bierkasse – gerade mal wieder schön prall gefüllt. „Und von dem Geld fahren wir jetzt erst mal schön zum Skilaufen ins Sauerland.“
Markus Wierz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen