: Von Tabubruch kann keine Rede sein
Zwei junge Journalisten wollen über die „Sexualität unterm Hakenkreuz“ aufklären. Ihr Unterfangen ist ihnen exemplarisch missraten, auch weil sie die Arbeiten anderer Autoren gering schätzten ■ Von Katharina Rutschky
Ist uns nicht jeder recht, der sich nach Kräften bemüht, die Wunde offen, die Erinnerung wach zu halten an jene zwölf Nazijahre, randvoll mit Verbrechen, die bis dahin in den schlimmsten Albträumen noch nicht vorgekommen waren? Die Leute, die damals dabei waren, sei es als Opfer oder als Täter, sterben allmählich aus. Beruhigend, dass die Nachgeborenen, unmittelbar nicht einmal mehr mit den Kriegsfolgen bekannt, sich engagiert an der Bildung eines historischen Bewusstseins beteiligen, das unglücklich machen muss.
Stefan Maiwald und Gerd Mischler, die jungen Autoren von „Sexualität unterm Hakenkreuz – Manipulation und Vernichtung der Intimsphäre im NS-Staat“ konnten sich beim Schreiben in einer riesigen Fachbibliothek bedienen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten mit Titeln zu allen denkbaren Facetten nationalsozialistischer Sexualpolitik gefüllt hat. Gut erforscht ist die Rassenideologie in ihren Konsequenzen für Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Identität – wenn dieses Understatement einmal erlaubt ist. Die Ermordung von Kranken und Behinderten, die Zwangssterilisationen zur Verhinderung des so genannten erbkranken Nachwuchses, die Verfolgung von Homosexuellen, die drakonischen Strafen bei harmlosen Sittlichkeitsvergehen, Mutterkreuz und Familienideologie, der systematische Einsatz von Denunziation auch in puncto Sexualität zur Herrschaftssicherung – auch das alles ist erforscht und beschrieben, mal besser, mal schlechter.
Auch über das Intimleben des „Führers“, seiner nächsten Vasallen und ihrer Ehefrauen und Geliebten kann sich informieren, wer will. In jüngster Zeit sind, als ein sonderbares Nebenprodukt seriöser Frauenforschung, verschiedene Monographien zu den Frauen der Nazigrößen vorgelegt worden. Sicher ist Sexualität, wie Maiwald und Mischler sich etwas hölzern ausdrücken, „eine der wichtigsten Seiten der menschlichen Psyche“. Mit ihrer These, dass, wer die Triebe der Menschen beherrsche, auch sie selbst beherrscht, kann aber sicher nicht jeder etwas anfangen, schon gar nicht im Hinblick auf den Nationalsozialismus und die Verbrechen, die im Namen dieser Ideologie verübt wurden. Es wurden die Triebe der Menschen doch weniger beherrscht und manipuliert – aller Verfolgung, aller offiziösen Prüderie und Spießigkeit ungeachtet – als im Gegenteil gekitzelt und in quasi psychotischen Szenarien entbunden. Wer sich heute nur noch mit Bildern und Texten befasst, die als Dokumente das Leben im KZ, die medizinischen Versuche an Menschen, den Krieg, die Zerstörung, das massenhafte Sterben, den Zusammenbruch jeder Zivilität berichten und abbilden, der muss an seinen eigenen Reaktionen die psychische Überforderung bemerken.
Die Abwehr kann verschiedene Formen annehmen. In der guten Absicht, ein allgemein verständliches Sachbuch über die Sexualpolitik der Nazis vorzulegen, sind Maiwald und Mischler auf typische Abwege geraten, die ihren aufklärenden Intentionen völlig zuwider laufen. Man darf ihnen nicht vorwerfen, dass sie nicht selbst geforscht, sondern sich gänzlich auf den Fleiß und die Mühen anderer verlassen haben. Gewünscht hätte man sich allerdings, dass sie diesen anderen mehr Gerechtigkeit widerfahren ließen.
Stellvertretend für alle Versäumnisse und Fahrlässigkeiten sei nur darauf hingewiesen, dass das beste und klügste Buch zu den Schicksalen der Sexualität im Zeitalter des bürgerlichen Nationalismus, dessen Ende der Faschismus markierte, von George L. Mosse stammt. Der Autor von „Nationalismus und Sexualität – Bürgerliche Moral und sexuelle Normen“, deutsch 1987 bei Rowohlt erschienen, ist 81-jährig voriges Jahr gestorben.
Das Buch des Emigranten aus Berlin und amerikanischen Geschichtsprofessors straft auch den großmäuligen Anspruch von Maiwald und Mischler Lügen, sie brächen mit ihrer obendrein schmalen Synopse von 224 Seiten Text ein Tabu, das Historiker aufgerichtet hätten, in dem sie der Geschichte der Sexualität unterm Hakenkreuz, ich zitiere wörtlich, „jede politische Bedeutung und Korrektheit“ absprächen.
Davon kann keine Rede sein, wie das Buch von Mosse ebenso beweist wie die anderen schlauen Werke, aus denen die beiden Autoren schöpfen. Tolerant bekennt sich die Rezensentin zu dem Satz, „Jugend kennt keine Tugend“ und der Einsicht, dass nicht bloß Schwaben erst jenseits der 40 gescheit werden. Dem ernsten Problem der kontraproduktiven Abwehr eines nachwirkenden historischen Traumas bei Befassung mit den schockierendsten Sujets soll aber deshalb nicht ausgewichen werden.
Für Journalisten mag der Tabubruch, die Sensation und die Überraschung einen Wert darstellen – nicht so für den Historiker, der versucht, Kontexte zu berücksichtigen, in Kontinuitäten zu denken, weil er etwas verstehen und verständlich machen will. Zynisch gesprochen, Maiwald und Mischler liefern uns die skandalösen Höhepunkte der nationalsozialistischen Sexualpolitik zwischen Euthanasie und Lebensborn, zwischen Görings Impotenz und Hitlers mönchischem Credo „Meine Braut ist Deutschland“.
Das Grauen, das sich selbst in der verkürzten Darstellung mancher Episoden beim empfindsamen Leser einstellen muss, fangen die Autoren mit dem arglosen Abgreifen einer Befindlichkeit auf, die man nicht unbedingt fürchten, die man nur leichtsinnig finden muss. Es ist die moralische Eitelkeit, die sich aus dem Gefälle von Barbarei und seither verflossener Zeit automatisch ergibt. Das Verhältnis dieser Nachgeborenen zu den Gräueln des Faschismus erinnert an das der Aufklärer im 18. Jahrhundert zum finsteren Mittelalter: Es ist nicht klug und gewitzt, sondern mokant und snobistisch.
Das Buch von Maiwald und Mischler ist ein exemplarischer Fehlschlag. Das Trauma – und der Nationalsozialismus ist ein Trauma – braucht als aufklärenden Therapeuten den Historiker, der auf Zeit und auf Verlangsamung, nicht auf den Heilungsschock setzt. Der Zumutung müssen wir uns stellen: Dem Sensationalismus der Nazis und seinen Konsequenzen lässt sich aufklärend nur mit Geduld begegnen.
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