piwik no script img

Kohl und Mitterrand: Mehr als eine deutsch-französische Freundschaft

■ Die Unterschiede zwischen den europäischen Sozial- und Christdemokraten waren geringer, als viele Linke glauben mochten

Dass François Mitterrand kein Linker war, hatten viele Franzosen bereits verstanden, bevor er an die Macht kam. Ein früher Pétainist; ein Mann, der im Algerienkrieg Deserteure hinrichten ließ; einer, der einen großen Teil seiner Energie auf die Bekämpfung des Kommunismus konzentrierte und der eine persönliche Freundschaften zu einem Polizeichef pflegte, der Massendeportationen von Juden organisiert hatte – das war alles ziemlich eindeutig. Zumindest für jene, die verstehen wollten.

Mitterrand war vom Prinzip Hoffnung begleitet

Dennoch wählten die Franzosen ihn zweimal zum Staatspräsidenten. Jeweils angespornt von taktischen Überlegungen und vom Prinzip Hoffnung. Beim ersten Mal, 1981, setzten viele auf die linke Plattform um Mitterrand – und die er wenig später verdrängte. Beim zweiten Mal, 1988, erwarteten viele eine linke „Dynamik“, die Mitterrands Wiederwahl angeblich auslösen würde – und die nie eintrat.

Dass Helmut Kohl kein Linker war, haben hingegen immer schon alle gewusst. Nicht einmal er selbst hat je einen Zweifel daran gelassen. Politisch hätte es ihm ohnehin nichts eingebracht. Und Taktik und Mauscheleien erwarteten deutsche Wähler damals nicht von ihren Politikern.

Dass die beiden Staatsmänner, die über ein Jahrzehnt an der Spitze der politischen Macht ihrer Nachbarländer waren, übereinstimmende Interessen hatten, haben sie oft gezeigt. Nicht nur bei ihrem viel zitierten Händedruck über den Gräbern von Verdun und bei ihren zahlreichen gemeinsamen Durchmärschen in der Europäischen Union, sondern auch bei einem politischen Manöver, das sie auf einer politischen Bühne inszenierten, die größer und öffentlicher nicht hätte sein können.

Damals war Kohl in Westdeutschland wegen des Nato-Doppelbeschlusses in Bedrängnis geraten. Er wollte die US-amerikanischen Pershing-Raketen – die das Land gegen die angeblich bedrohenden sowjetischen SS-20 schützen sollten – stationieren, und die komplette Linke, die Friedens- und die Ökobewegung demonstrierte gegen ihn.

Im krassen Widerspruch zum erklärten Wählerwillen, wenngleich in Übereinstimmung mit seinem lebenslänglichen persönlichen Antikommunismus, trat damals der französische „Sozialist“ Mitterrand die Verteidigung des deutschen Christdemokraten Kohl an. Mitterrand hielt eine flammende Rede für die Pershings, für Kohl und gegen seine deutschen Parteifreunde von der SPD – im deutschen Bundestag.

Damit lagen – vor nunmehr 17 Jahren, als Mitterrand noch lebte und beide in Amt und Würden saßen – eigentlich alle Elemente auf dem Tisch, um festzustellen, dass es zwischen den beiden politischen „Gegnern“ eine sehr weitgehende „Hilfsbereitschaft“ gab. Wer wollte, hätte das damals verstehen können. Doch kaprizierten sich damals die Analytiker – darunter auch westdeutsche und französische Linke – darauf, stattdessen die angeblichen Länderpartikularismen in den Vordergrund zu stellen: die französische Force de Frappe oder die deutsche Teilung.

Das blendete den Blick und vermied die Erkenntnis, dass die Unterschiede zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten, die jahrzehntelang das wichtigste Element des westdeutschen politischen Kräftespiels waren, doch nicht besonders weit gingen. Der Glaube, dass Sozialdemokraten und Christdemokraten tatsächlich etwas „grundsätzlich anderes“ wären, blieb intakt.

Dieser Glaube gerät nun ins Wanken. Und mit ihm das Vertrauen in die Stabilität einer parlamentarischen Demokratie, die den Machtwechsel ermöglicht. Diese Zweifel, die auch so wichtige Dinge wie den eigenen Einfluss auf die Politik als Wähler infrage stellen, hat die mutmaßliche Millionenhilfe von Mitterrand an Kohl ausgelöst.

Die Sozialdemokraten sind im Sog der Kohl-Affäre

Die europäischen Sozialdemokraten, auch jene, die sich wie die Franzosen aus taktischen Überlegungen weiterhin „Sozialisten“ nennen, sind damit plötzlich mitten drin im Sog der Kohl & Co-Affäre. Der Spruch: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“, der bei Beginn des Ersten Weltkriegs eine andere „widernatürliche Allianz“ zwischen Linken und Rechten beschrieb, bekommt ein Jahrhundert später eine neue Aktualität. Dorothea Hahn, Paris

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen